Die Orpheus-Prophezeiung: Thriller (German Edition)
Gemälde. Als hätte der Maler versucht, ein Geheimnis in einem Landschaftsbild zu verstecken.
Schau auf die Details. Alles hat eine bestimmte Bedeutung. Das Haus, die Unfallstelle. Der Zaun. Der Wald. Die drei Bäume, die hinter dem Haus aufragten.
Du bist auf dem falschen Dampfer, sagte er sich. Dieser Unfall wurde nicht inszeniert. Er ist einfach geschehen. Und wenn du Gritti danach fragen willst, wie es dazu kam, musst du warten, bis seine Seele wieder in eine neue menschliche Kreatur geschlüpft ist. Sie muss neu geboren werden. Sie muss aufwachsen. Und sie muss die Fähigkeit erlernen, sich zu erinnern. Viel Zeit würde dafür nötig sein.
Langsam wanderte er weiter. Er liebte es, über solche Dinge nachzudenken. Aber es war wichtiger zu handeln, als zu philosophieren. Allein mit geistiger Denkleistung würde er die Alten Seelen nicht überzeugen.
Der Weg führte nun bergab.
Und Zeno hatte das Haus fast erreicht, als ein Wagen aus dem Wald geschossen kam und bremste. Ein Taxi.
Jemand stieg aus.
Es war Mara.
Sie schien einen kurzen Disput mit dem Fahrer zu haben. Zeno fragte sich, worum es dabei ging. Wahrscheinlich um Geld.
Doch dann entfernte sie sich von dem Wagen und sah sich um. Zeno duckte sich und lief auf die Rückseite des Hauses. Hier empfing ihn Gebüsch und Unkraut, dann ein Haufen Müll – zerbrochene Bierflaschen, undefinierbare Plastikverpackungen, Pappkartons, Metallteile. An der Wand lehnten verschlissene Autoreifen.
Seine Schritte knirschten. Sofort hielt er inne.
Ob Mara ihn gehört hatte?
Und wenn schon. Sie wollte sicher nicht das alte Haus, sondern den Ort des Unfalls erkunden.
Er tastete sich an der Rückwand entlang. Ein paar Schritte weiter führte eine Treppe nach unten. Dort gab es eine Tür. Zeno konnte erkennen, dass sie nur angelehnt war. Seltsam. Ob jemand in dem Haus wohnte? Oder regelmäßig ein und aus ging?
Er musste Mara im Auge behalten. Er musste mit ihr sprechen. Und wenn es ihm jetzt nicht gelang, würde er so schnell keine Gelegenheit mehr dazu haben.
Er schob sich an der Wand entlang und lugte um die Ecke.
Das Taxi stand da. Der Fahrer war ausgestiegen, rauchte und wandte Zeno den Rücken zu.
Mara befand sich auf der anderen Straßenseite an der Unfallstelle. Zeno konnte sich denken, was sie dort wollte.
Abschied nehmen. Der Mann, der dort drüben umgekommen war, hatte ihr nahegestanden. Er war ihr Mentor gewesen, ihr Förderer, ihr Mäzen. Er hatte einen großen Teil seines Vermögens investiert, damit sie die Musik machen durfte, die sie machen wollte. Für die sie geboren war.
Doch sie weiß eines nicht, dachte Zeno. Sie weiß nicht, dass sie Möglichkeiten zum Musikmachen in der Hand hält, von denen sie niemals geahnt hätte, dass sie existieren.
Mara war Trägerin eines uralten Geheimnisses. Und er, Zeno, musste das beweisen. Sie davon überzeugen, dass das so war. Und es auch noch den Alten Seelen nahebringen. Damit die es auch glaubten …
Und wenn ihm jetzt keine Idee kam, wie er am besten vorging, würde diese Gelegenheit an ihm vorbeiziehen, und er würde vor die Alten Seelen treten müssen …
Der Taxifahrer warf die Zigarettenkippe auf den Boden und trat sie aus.
Im selben Moment blickte Mara herüber, und Zeno war sicher, dass sie ihn gesehen hatte.
Er schoss um die Ecke und drängte sich an die Wand. Sein Herz hämmerte.
Mist! War das jetzt gut oder schlecht?
Wenn sie herkam. Wenn sie ihn sah …
Er runzelte die Stirn, schloss die Augen, hob den Kopf. Er lauschte auf die Schritte, die sich von der Vorderseite her näherten.
Wenn sie dich sieht, hast du keine Chance mehr, inkognito zu bleiben. Und inkognito bleiben: Das ist es, was die Alten Seelen auszeichnet.
Sie dürfen sich nicht zu erkennen geben. Aber gleichzeitig willst du Mara auf deine Seite ziehen … Sie über die Wahrheit aufklären.
Unbekannt bleiben und ihr alles erklären. Ein Widerspruch.
Die Schritte kamen näher. Und jetzt hörte Zeno Maras Stimme.
»Hallo?«, rief sie.
Noch eine Sekunde, und sie war an der Ecke.
Er setzte sich in Bewegung und folgte der Hauswand in die andere Richtung. Er gelangte bis zu der Treppe.
Hinter ihm rief Mara wieder. »Ist da jemand?«
Zeno tauchte zu der Kellertür ab und öffnete sie. Das Metall schabte über den Betonboden, es gab ein hässliches Quietschen. Dumpfer Gestank strömte Zeno entgegen. Im schwachen Licht, das von außen hereindrang, konnte er erkennen, dass sich auch hier Müll stapelte. Alte Eisenteile. Ein
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