Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
heiligem Öl und setzte ihm in einem Akt von weitreichender Symbolik die Krone aufs Haupt.
Nun war ein Bündnis geschlossen, das weit in die Zukunft wirken sollte. So wie Stephan II . und Pippin die europäische Machtbalance erstmalig auf einer Nord-Süd-Achse justiert hatten, so würde das Verhältnis zwischen Kaiser und Papst für lange Zeit das Kräftefeld des Kontinents bestimmen: das römisch-deutsche Herrschaftsmodell der Ottonen, der Investiturstreit, die erbitterten Kämpfe des Heiligen Stuhls mit den staufischen Kaisern – ein Jahrhundert ums andere reichen die Wurzeln der mittelalterlichen Politik zurück zum Pakt der Päpste mit den Karolingern.
Sogar den 44 Hektar großen Vatikanstaat mitten in Rom würde es vielleicht nicht geben, wenn Stephan II . nicht den Weg über die Alpen gegangen wäre. Denn nur mit fränkischer Hilfe ist es dem römischen Pontifex im 8. Jahrhundert gelungen, Herr im eigenen Haus zu bleiben. Und auf den territorialen Rechten des frühen Mittelalters beruhte durch alle Epochen hindurch der Kirchenstaat, dessen später Überrest der heutige Vatikan ist. Die geläufige Formel von der »Pippinschen Schenkung« kann allerdings leicht einen falschen Eindruck erwecken. Genau genommen hat der König dem Papst zunächst nichts geschenkt, sondern er hat ihm etwas versprochen. Und dieses Versprechen hat er nur zum Teil gehalten.
Italien war damals von politischen Rivalitäten zerrissen. Großmächte und Stadtherren, Kirchenfürsten und Adelsfamilien kämpften um Besitz und Vormacht. Für die Frühgeschichte des Kirchenstaates sind vier Parteien entscheidend:
▶ das christliche Oberhaupt in Rom, das auch weltliche Aufgaben wahrnahm;
▶ die Langobarden, die seit der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts über große Teile Italiens herrschten;
▶ die Franken, die zur bedeutendsten Macht nördlich der Alpen herangewachsen waren;
▶ der byzantinische Kaiser mit Sitz in Konstantinopel.
Mitte des 6. Jahrhunderts war es Justinian I. gelungen, einen großen Teil des alten Imperium Romanum zurückzuerobern. Auch nach dem Vormarsch der Langobarden gehörten Rom, Ravenna, Venedig, Sizilien und andere italienische Gebiete noch längere Zeit zu Byzanz. Ihren ranghöchsten Mann, Statthalter des Kaisers auf italienischem Boden, stationierten die Byzantiner in Ravenna: Der Exarch herrschte formal auch über Rom und Umgebung, aber viel zu bedeuten hatte das meistens nicht.
Das Selbstbewusstsein der Päpste beruhte auch auf ihrem weltlichen Besitz, den sie im Lauf der Jahrhunderte vor allem durch Schenkungen zusammengetragen hatten. Sie verfügten über das »Patrimonium Petri« (»Erbteil des Petrus«), riesige Ländereien in Italien, auf Korsika, Sardinien und Sizilien und sogar im südlichen Gallien und Nordafrika. Der Grundbesitzer, der in irdischen Angelegenheiten eigentlich noch den oströmischen Kaiser über sich hatte, übte wachsenden politischen Einfluss aus. Wenn es Byzanz einfiel, die Steuern zu erhöhen, kam es vor, dass der Papst dagegenhielt – die Leute auf seinen Landgütern wussten das zu schätzen.
Für den Kaiser gab es häufig größere Probleme als die Lage in Italien. Vor allem die kampfstarken Araber, die bald nach dem Tod des Propheten Mohammed 632 einen Landstrich nach dem anderen eroberten, waren eine Plage für Byzanz. Erst nach dem Sieg in der Schlacht bei Akroinon in Kleinasien 740 hatte Konstantinopel für lange Zeit Ruhe vor den Muslimen.
Die Päpste hatten inzwischen die Gelegenheit genutzt und sich selbständig gemacht. In Rom und Umgebung waren sie nun de facto Herren über ein eigenes Staatsgebilde. Ein päpstliches Dokument, das Ereignisse des Jahres 742 beschreibt, spricht bereits unmissverständlich von einer »Republik«. Als eigentlichen Souverän betrachteten die Zeitgenossen den heiligen Petrus, in dessen Auftrag seine irdischen Stellvertreter handelten. Byzanz war weit, weit weg.
Ausgerechnet die Langobarden, ewige Unruhestifter aus Norditalien, spielten bei den Anfängen des Kirchenstaates die Rolle der Geburtshelfer. König Liutprand übergab dem Papst 728 die von ihm eroberte Festung Sutri, die nicht weit von Rom entfernt lag und eigentlich zum Kaiserreich Byzanz gehörte. Einige Jahre später zeigte sich Liutprand abermals großzügig: Vier weitere Städte trat er an die Papst-Republik ab. Ein zuverlässiger Freund der Päpste war der Langobardenkönig allerdings nicht. Denn zwischen den beiden Schenkungen versuchte er, Rom in seine Gewalt zu
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