Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Grabbauten die Dächer fehlten, als wäre eine gigantische Sense über sie hinweggefegt, waren die Grabbauten hügelabwärts mit dem Schutt der oberen Gebäude aufgefüllt, um das Bodenniveau zu erhöhen. Konstantin hatte den Hang modifiziert, die Schräge begradigen lassen. Und das, obwohl ein Stück weiter hügelauf eine ebene Fläche als Baugrund zur Verfügung gestanden hätte.
Für diesen irrwitzigen Aufwand konnte es nur einen Grund geben: Es lag etwas in diesem Gräberfeld, das Konstantin die Ausrichtung und Lage der Basilika diktierte. Etwas, um das er seine Kathedrale konzipieren ließ wie ein Planetensystem um den Zentralstern. Mit dem Fortgang der Grabungsarbeiten wurde es immer gewisser: Die Via Cornelia verlief unter dem Altar.
Unter der Auflage äußerster Vorsicht erlaubte der Papst schließlich den Archäologen, sich in den Boden direkt unter dem Altar vorzuarbeiten. Doch als sie Schaufel um Schaufel abtrugen, schien das Ergebnis zunächst ernüchternd. Ein kleiner gepflasterter Hof lag dort, sieben Meter lang und vier Meter breit. Kein luxuriöses Grabgebäude, ja nicht einmal ein einfacher Grabstein mit dem Namen »Petrus«. Stattdessen eine rote Ziegelmauer mit einer vorgebauten Zierfassade und zwei leeren Nischen darin. Daneben eine kleinere Mauer mit einer weiteren Nische, über und über bekritzelt mit Graffiti.
Erst unter dem Boden des Hofes, dort, wo die Fassade stand, stießen die Archäologen auf eine kleine Grube: 72 Zentimeter im Durchmesser – nicht besonders üppig für einen Apostelfürsten. Und auch sie schien leer. Ganz leer? Nein, am hinteren Ende, unter der roten Mauer, lag ein kleines Häufchen Knochen. Ein Teil eines Brustbeins, ein halbes Schulterblatt. Doch wenn es Petrus war, dann hatte er Gesellschaft: Die Knochen erwiesen sich im Labor als bunter Mix. Sie gehörten einem kräftigen Mann, einem schmächtigen Mann und einer Frau. Außerdem einem jungen Hahn, einem Schwein und einem Pferd.
Menschen sind demnach fehlbar. Sowohl Geistliche als auch Wissenschaftler. Das wurde deutlich, als die Inschriftenkundlerin Margherita Guarducci – eine alte Familienfreundin des späteren Papstes Paul VI . – im Petersdom weilte, um die Kritzeleien auf der Mauer zu untersuchen. Eher zufällig unterhielt sie sich mit dem alten Vorarbeiter der Ausgrabungen, Giovanni Segoni. »Sag mal, Giovanni«, fragte sie ihn und zeigte auf die Nische in der Wand, »weißt du noch, was ihr damals da drin gefunden habt?« »Ja, ich habe sie selbst ausgeleert«, erwiderte er. »Ich kann es Ihnen zeigen.«
Segoni holte eine verstaubte Kiste aus einem Regal. Sie stand noch genau dort, wo er sie 1942 hingestellt hatte – im Auftrag von Monsignore Kaas. Der hatte nämlich, weil er den Archäologen nicht traute, heimlich die Nische von Segoni räumen lassen, bevor die Ausgräber sie untersuchen konnten. So waren diese Knochen nie im Grabungsbericht aufgetaucht.
Guarducci überkam sofort eine Ahnung. Und diesmal passte wundersamerweise alles zusammen. Die Knochen gehörten – bis auf das komplett erhaltene Skelett einer Maus – einem kräftigen Mann zwischen 60 und 70. An ihnen klebten noch die Reste eines purpurfarbenen Stoffes mit eingewirkten Goldfäden. Purpur und Gold – die Farben der Könige. Und dazu passte schließlich auch genau, dass Guarducci die Graffiti auf der Mauer nach und nach als Monogramme, Abkürzungen und geheime Symbole für Petrus und andere Personen aus dem Umfeld Jesu deuten konnte.
Die meisten Menschen sehen, was sie sehen möchten. Guarducci sah Petrus klar vor sich. Zwar teilte in der Welt der Wissenschaft kaum jemand ihre Meinung – dafür aber der Papst. Am 26. Juni 1968 erklärte Paul VI . die Knochen aus dem Mauerwinkel für diejenigen des heiligen Petrus. Am Folgetag wurden die sterblichen Überreste des Mannes – und der Maus, mit der er auch die Jahrhunderte zuvor sein Grab geteilt hatte – wieder in der Nische jener Wand bestattet, die einst in einem Hof an der Via Cornelia stand.
Ist das Grab des heiligen Petrus nun gefunden worden oder nicht? Darauf hatte Pius XII . bereits in seiner Weihnachtsbotschaft des Jahres 1950 erwidert: »Auf diese Frage lautet die Antwort nach dem Abschluss der Arbeiten und Studien ganz klar: ja. Eine zweite untergeordnete Frage betrifft die Reliquien des Heiligen. Sind auch sie wiederentdeckt worden? Am Rande des Grabes wurden Reste menschlicher Gebeine gefunden. Es ist jedoch nicht mit Sicherheit zu erweisen, dass sie zu den
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