Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
des letzten Oktober 1501 veranstaltete Cesare Borgia in seinem Gemach im Vatikan ein Gelage mit 50 ehrbaren Dirnen, Kurtisanen genannt, die nach dem Mahl mit den Dienern und den anderen Anwesenden tanzten, zuerst in Kleidern, dann nackt.« Nach dem Essen wurden Kastanien ausgestreut, die die nackten Frauen auf allen vieren kriechend aufsammeln mussten, »wobei der Papst, Cesare und seine Schwester Lucrezia zuschauten«. Schließlich wurden Preise für die ausgesetzt, »welche mit den Dirnen am häufigsten den Akt vollziehen könnten«.
Die berüchtigte Nacht der Kurtisanen gilt in der Überlieferung gleichsam als der Königsbeweis für Sexorgien im Vatikan. Die österreichische Historikerin Susanne Schüller-Piroli hat indes die Echtheit der Szene, deren Originalhandschrift verlorenging, angezweifelt. Sie gehöre zu den Legenden, urteilt auch Reinhardt. Warum Burckard den Eintrag aufnahm, bleibt unklar.
Es kam nie zum offenen Bruch, aber begann sich der Chronist so für die Nachwelt zu distanzieren vom Skandal-Papst? Immerhin kopierte Burckard auch einen anonymen Brief, angeblich aus einem spanischen Heerlager an einen italienischen Edlen gesandt, in dem der Heilige Vater als »Verräter der Menschheit«, »Feind Gottes, Belagerer des Glaubens Christi und Unterwühler der Religion« angeprangert wird; alles sei »beim Papste käuflich: Würden, Ehren, Ehebünde und -scheidungen«. Der wohl fiktive Brief datiert vom 15. November 1501.
Da neigt sich Alexanders Pontifikat schon dem Ende zu. Der Papst stirbt im August 1503 überraschend nach plötzlichem Unwohlsein am Fieber. Die Macht der Borgia stürzt nun wie ein Kartenhaus zusammen. Cesare landet später in einem spanischen Kerker, kann fliehen und stirbt 1507 schließlich bei einem Kampf.
Bei aller Wut, die nun gegen die Borgia losschlug: Von der Kurie wurde Alexanders Amtszeit hinter vorgehaltener Hand als durchaus erfolgreich bewertet. Als Herrscher des Kirchenstaates hatte er sich klug gezeigt, das politische Gleichgewicht in Italien zwischen Frankreich und Spanien zu erhalten versucht, urteilen etwa August Franzen und Remigius Bäumer in ihrer Papstgeschichte. Für die Kirche allerdings, so ihre Bilanz, war sein Pontifikat dennoch »ein Unglück«.
Noch sein Tod löste wilde Gerüchte aus: War er womöglich selbst Opfer einer Vergiftung geworden? Hatten er und sein Sohn versehentlich aus Pokalen getrunken, die eigentlich für ihre Feinde bestimmt waren? Die Forschung hält längst auch eine profanere Ursache für möglich: Malaria.
Der Rest ist Legende.
TEIL IV
GLAUBENSPRACHT
GEGEN
WISSENSMACHT
Woge des Wandels
Zwischen Reformation und Französischer Revolution änderte sich die Welt von Grund auf: Wissenschaften stellten die Deutungshoheit der Kirche in Frage. Wollte das Papsttum überleben, musste es seine Rolle neu finden.
Von Eva-Maria Schnurr
Als am 25. Dezember 1541 der Vorhang fiel, stockte den Betrachtern der Atem. Ungläubig, staunend, eingeschüchtert starrten sie auf das deckenhohe Fresko, das Michelangelo Buonarroti gerade hinter dem Altar der Sixtinischen Kapelle enthüllt hatte: Der gefeierte Künstler hatte im Auftrag des Papstes das Jüngste Gericht gemalt, des Weltenrichters Urteilsspruch am letzten Tag über jene, die in den Himmel aufsteigen, und jene, die zur Hölle fahren sollten.
Die farbenprächtigen Szenen widersprachen allen bisher geltenden Regeln: Ordentlich sortiert waren solche Darstellungen bis dahin gewesen, mit den Erlösten auf der einen und den Verdammten auf der anderen Seite, überschaubar und leicht verständlich. Auf Michelangelos Werk jedoch war nichts mehr klar: 391 völlig nackte Menschen werden wie in einem Strudel zwischen Christus und Satan durcheinandergewirbelt. Himmel und Hölle liegen gefährlich nahe beieinander, das Bild zeugt mehr von Heilsangst als von der Gewissheit, dass der rechte Glaube schon zur Erlösung führen werde. Den Heiligen fehlt der Heiligenschein, die Engel haben keine Flügel, und selbst die Märtyrer sind nicht auf der sicheren Seite, sondern müssen noch einmal vor den himmlischen Richter.
Theologen murrten, als sie das Fresko zu Gesicht bekamen, der Verdacht der Ketzerei stand im Raum. Sie setzten durch, dass die Blöße der Nackten später mit Lendenschürzen übermalt wurde, doch das Bild wurden sie nicht mehr los. Wie ein Menetekel hing es von nun an über dem Altar der vatikanischen Kapelle, ein steter Appell an Papst und Kardinäle, nur nicht zu triumphierend in die
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