Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Zukunft zu schauen.
Anlass für solche Mahnung gab es mehr denn je. Zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert machte sich die Welt vom Mittelalter in die Moderne auf. Alte Gewissheiten zerbrachen, und der Blick auf die Wirklichkeit veränderte sich fundamental. Die Reformation stellte die Deutungshoheit der römischen Kirche in Frage. In Religionskriegen kämpften Christen gegen Christen. Überall in Europa entstanden Nationalstaaten und drängten den päpstlichen Universalanspruch zurück. Naturwissenschaftler hinterfragten das alte, aus der Bibel abgeleitete Weltbild. Abenteurer entdeckten neue Kontinente und die einfachen Menschen ihre Individualität. Würde das Papsttum diese Stürme überstehen? Was passierte, war so verstörend, wie Michelangelo es gemalt hatte: ein Ringen zwischen Erlösung und Untergang, unentschieden bis zuletzt.
Dabei hatten am Anfang große Pläne gestanden: Am 18. April 1506 ließ Papst Julius II. den Grundstein für den Neubau der Peterskirche in Rom legen. Das kolossale Gotteshaus, entworfen als größter Bau der Welt, sollte von der Macht Roms künden, die Feinde der Kirche einschüchtern, so hatten es Julius’ Vorgänger geplant. Doch dem Selbstbewusstsein fehlte zunehmend die Substanz. Das Ansehen der Päpste war Anfang des 16. Jahrhunderts auf einen Tiefpunkt gesunken.
»Nichts gefällt mir, was hier an der Kurie getrieben wird; alles ist verdorben, keiner tut seine Pflicht. Ehrfurcht vor den Gesetzen? Eifer im Gottesdienst? Ehrgeiz und Habsucht fördern alle! Wenn ich im Konsistorium endlich einmal von Reform zu sprechen wage, werde ich ausgelacht«, beklagte sich der deutsche Kardinal Nikolaus von Kues bereits 1461. Reformer wie er forderten, dass die Kirche sich wieder auf die Seelsorge konzentrieren solle.
Ihnen missfiel, dass die Kirchenoberen wie Fürsten auftraten. Diese kümmerten sich mehr um ihre Herrschaft im Kirchenstaat als um die Gläubigen im Rest Europas, versuchten, ihre Einnahmen zu steigern, indem sie immer neue Steuern erließen, Ämter verkauften und Gebühren erhoben, zum Beispiel dafür, dass Bischöfe regelwidrig mehrere Posten auf sich vereinen konnten.
Mehr als 50 Jahre lang brodelte es. Ausgerechnet der Neubau des Petersdoms brachte den verbreiteten Unmut zum Überkochen. Denn für den Neubau brauchte die Kurie Geld. Hereinkommen sollte es durch einen Ablass: Wer genug spendete, konnte hoffen, von allen zeitlichen Sündenstrafen befreit zu werden.
Zu einem besonderen Handel kam es 1514 im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation: Der Hohenzollernspross Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Magdeburg und Verwalter des Bistums Halberstadt, wollte aus politischen Gründen auch Erzbischof und damit Kurfürst von Mainz werden. Für die Duldung dieser verbotenen Ämterhäufung verlangte die Kurie unter Papst Leo X. 29000 Gulden. Der Ablass, den Albrecht in seinen Ländern für den Bau der Peterskirche verkaufte, diente also eigentlich dazu, seine Schulden in Rom zu begleichen.
Das war der Funken, der die Wut eines Augustiner-Eremitenmönchs im kursächsischen Wittenberg entzündete. Vor lauter Geldgeilheit achte der Papst seine eigenen Gesetze nicht und verspreche falsche Wege zum Heil, so lautete im Kern die Kritik, die dieser Martin Luther 1517 in 95 lateinischen Thesen formulierte.
Luther wollte anfangs nur Reformvorschläge machen, eine Diskussion in Gang bringen. Doch er ging einen Schritt weiter als frühere Kirchenkritiker: Es brauche keine Priester, um die Heilige Schrift auszulegen, propagierte er, jeder Gläubige könne die Bibel selbst verstehen. Und es bedürfe keiner Ablassbriefe, Bußwallfahrten, Sakramente oder guter Taten, um ins Himmelreich zu kommen; Glaube und Gottes Gnade, mehr sei nicht nötig.
Damit stellte er nicht nur die Autorität des Papstes in Frage, sondern auch dessen Rolle als vermittelnde Instanz zwischen den Gläubigen und Gott. Papst Leo X. leitete kurzerhand einen Ketzerprozess gegen den Mönch ein.
Weder Leo noch seine Nachfolger setzten sich persönlich mit Luther auseinander. Viel drängender als die Lehren des Rebellen aus der deutschen Provinz schienen den Päpsten die Gefahr durch die Türken im Osten und ihre eigenen politischen Interessen in Italien. »Nichts Neues unter der Sonne, so lautet das Fazit der vatikanischen Haustheologen, ein fader Aufguss längst abgetaner Häresien, durch Gegenmanöver leicht zu ersticken«, schreibt der Historiker Volker Reinhardt – die »folgenreichste Fehleinschätzung«
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