Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
illegitimes Kind der Lieblingsmätresse Vanozza, wurde unterdessen wie ein Kapital aus dem Familienvermögen hin- und herinvestiert in immer neue Hochzeiten, stets maximal gewinnbringend; die alten Ehemänner ließ mutmaßlich Cesare mit Hilfe von Würgeschlingen beseitigen.
Dass Kirchenfürsten Kinder mit Geliebten zeugten, war in der Epoche normal, nicht jedoch, dass sie die illegitimen Sprösslinge als leibliche Nachfahren anerkannten. Das tat Alexander bei mindestens sieben Kindern.
Lucrezia soll er vergöttert haben. Die selbstbewusste junge Frau, die im Kloster viele Fremdsprachen, auch Latein und Griechisch, studiert hatte, forderte die Kirchenwelt heraus. In einer Zeit, in der gebildete Frauen als Hexen verbrannt wurden, ging sie im Vatikan ein und aus, verkehrte ganz selbstverständlich mit den höchsten geistlichen Würdenträgern, wurde vom Vater in seiner Abwesenheit sogar einmal als Stellvertreterin eingesetzt. Das musste provozieren.
Lucrezia Borgia wurde zur Femme fatale. In späteren Jahrhunderten, vor allem durch die französische Romantik, war sie die Giftmischerin, der männermordenden Salome gleich. Ihr Vater, dessen Appetit nach Frauen legendär war, soll mit ihr Inzest getrieben, sogar ein Kind gezeugt haben. Reinhardt hält das für »abwegig«: Alexander habe genug willige Gespielinnen gehabt, die Blutschande hätte sein Image verheerend geschädigt. Schriftsteller wie Dumas oder Victor Hugo, auch der Komponist Gaetano Donizetti sorgten dafür, dass der düstere Borgia-Mythos weiterlebte, obwohl Lucrezia sich als spätere Herzogin von Ferrara mit Krankenfürsorge, der Kunstförderung und großem Geschäftssinn als Einzige der Familie ein ehrbares Ansehen erwarb.
Während sie dämonisiert wurde, erntete ihr brutaler Bruder Cesare, der sogar die Ermordung seines Bruders Juan veranlasst haben soll, Lob. Der Renaissance-Philosoph und Diplomat Niccolò Machiavelli hebt ihn in seinem berühmten Werk »Der Fürst« als »Vorbild« eines machtbewussten Herrschers heraus. Noch Friedrich Nietzsche feierte um 1880 Cesare als einen »Virtuosen des Lebens«, ihm gefiel dessen Ruchlosigkeit wider die christliche Moral.
Lucrezia Borgia
(Gemälde von Bartolomeo da Venezia
aus dem 16. Jahrhundert)
AKG
Manche hielten gar den Sohn für den eigentlichen Spiritus Rector von Alexanders Pontifikat. Falsch, meint Reinhardt, der Papst habe ganz klar die Fäden in der Hand gehabt, Vater und Sohn hätten vielmehr eine perfekte Rollenteilung betrieben mit Cesare als Mann fürs Grobe. Er führte das Terrorregime in Rom und der Romagna, mit dem die Familie den alten Feudaladel von seinem Besitz verdrängte. Vater und Sohn ließen auch den venezianischen Kardinal Giovanni Michiel vergiften, um sich dessen Besitztümer anzueignen. Der Fall erregte ein solches Aufsehen, dass der nachfolgende Papst Julius II. 1504 dazu einen Kriminalprozess anstrengte.
Zorn und Hass auf die Borgia wuchsen, doch nur wenige trauten sich, öffentlich gegen die mächtige Familie aufzutreten. Es brauchte schon das Sendungsbewusstsein eines Girolamo Savonarola, jenes berühmten Bußpredigers aus Florenz, der zum Märtyrer werden sollte. Alexander sei nicht nur unrechtmäßig gewählt, er sei ein Ungläubiger, predigte der Dominikanerprior zum Volk: »Oh, verruchte Kirche, höre, was der Herr zu dir spricht: Ich habe dir die schönen Gewänder gegeben, und du hast Abgötterei mit ihnen getrieben. Die Wollust hat aus dir eine schamlose Dirne gemacht. Du bist schlimmer als ein Vieh, du bist ein abscheuliches Ungeheuer.«
Der Volksprediger wurde zum Sprachrohr der Sehnsucht nach Reformen und moralisch-politischer Emanzipation der Bürger vom herrschenden Klerus. In der endzeitlichen Angst vor dem Weltgericht keimte neue Frömmigkeit, die sich über die Prasserei der Kirchenherren empörte. 20 Jahre später markierte Martin Luther mit seinen Wittenberger Thesen den Beginn der Reformation.
Alexander ließ den Mönch exkommunizieren. Doch auch die Machtkämpfe um das von Savonarola damals beherrschte Florenz führten dazu, dass der Eiferer ins Gefängnis geworfen, gefoltert und schließlich am 23. Mai 1498 öffentlich hingerichtet wurde.
In all den Wirren und Skandalen führte einer akribisch Buch: der deutsche Zeremonienmeister des Papstes, Johannes Burckard, ein prinzipientreuer Traditionalist. In seinem Tagebuch notierte er alles, was im Vatikan und auch außerhalb vor sich ging. In dem Diarium findet sich auch folgender Eintrag: »Am Abend
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