Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
hatte angreifen und plündern lassen, verharrte die Stadt lange in Schockstarre. Die Jahre vergingen, das Wunder blieb im Wartestand.
Nach Sangallos Tod 1546 sollte ausgerechnet der alte Michelangelo dem Projekt endlich Glanz verleihen. Er erhielt ungewöhnlich weitreichende Vollmachten und einen exorbitant hohen Lohn. Und doch eskalierte die Situation.
Der Künstler, nun 71 Jahre alt, war mit den Jahren nicht milder geworden. Seinen Vorgänger und dessen Mitarbeiter nannte er »Schafe und Ochsen«, die von der Kunst nichts verstünden. Würde nach Sangallos Plänen weitergebaut, so gäbe es in dem Kirchengebäude genug dunkle Ecken, damit Falschmünzer ihr Geld drucken könnten, und noch ganz andere Sünden möglich wären. Wieder wurde, was bisher entstanden war, zumindest in Teilen zerstört, es wurde geplant, es wurde gebaut – und erneut schwand die Hoffnung, die Kirche in absehbarer Zeit zu vollenden.
Michelangelo, der Bramante einst einen Zerstörer genannt hatte, zertrümmerte nun selbst viel Mauerwerk, vor allem Bauabschnitte Raffaels und Sangallos. Bramantes Pfeileridee aber übernahm er. Er war unter allen Architekten dieser Baustelle sicher das größte Genie. Und doch wollte ausgerechnet er lieber eine etwas kleinere, machbare Variante des Petersdoms errichten.
Er schlug einen lichten Zentralbau vor, der auch in geringerer Größe noch großzügig und erhaben wirken würde; mit dieser Variante könnte man Hunderttausende von Dukaten und vor allem mehrere Jahrzehnte Bauzeit einsparen. Zugleich war der Plan auf selbstbewusste Weise unendgültig, denn der Zentralbau ließ sich jederzeit zur Basilika erweitern. Den Papst überzeugte Michelangelo damit, nicht aber die Getreuen des verstorbenen Sangallo. Auf der Baustelle hatte er mehr Feinde als Anhänger.
Es war Michelangelo bewusst, dass die Kirche zu seinen Lebzeiten nicht mehr fertiggestellt werden und ein möglicher Nachfolger vielleicht alles wieder ändern wollen würde. Also brachte er den Bau an entscheidenden Stellen so weit wie möglich voran, setzte seine Vorstellungen so weit in Baumasse um, dass es später schwerfallen musste, am Grundkonzept viel zu verändern.
Die Kuppel blieb zu seinen Lebzeiten ungebaut. In 75 Meter Höhe öffnete sich der Bau, das Loch war 40 Meter breit – und es klaffte da oben für 20 Jahre. Erst Giacomo della Porta und Domenico Fontana konnten bis 1590 die enorme Doppelschalenkonstruktion vollenden.
Und Alt-St. Peter? Im Laufe des späteren 16. Jahrhunderts wurde die Kirche sogar halbwegs instandgesetzt. In den Jahren der Gegenreformation traute man sich erst recht nicht, sie verschwinden zu lassen. Doch beide Baukörper harmonierten nicht, sie schlossen einander geradezu aus, machten sich gegenseitig lächerlich – zwei ungleiche und miteinander unglückliche Nachbarn.
Als sich Anfang des 17. Jahrhunderts ein Stück Mauer aus der Fensterzone der Basilika löste, beschloss man einmal mehr den Abriss. Endlich gab es einen Grund, wenn auch keinen überzeugenden. Denn auch beim Neubau kam es immer wieder zu Rissen, brachen Bauteile ab. Auslöser waren meistens Erdbewegungen.
Nun jedoch wurde Ernst gemacht: Man opferte das ältere, teils schon zerstörte und wieder zurechtgeflickte Gebäude. Knapp 1300 Jahre nach ihrer Errichtung, etwa 150 Jahre nach den ersten Gedankenspielen zu einer Neuerfindung von St. Peter, verschwand die alte Basilika. Im Februar 1606 wurde mit der Abtragung des Daches begonnen; schließlich wurde auch gleich noch eine von Sangallo errichtete Mauer weggerissen. Nun erst kam Michelangelos Bau zur Geltung – und natürlich blieb wieder nichts so, wie es war.
Carlo Maderno (1556–1629) war der Architekt, der nach Michelangelo am meisten bewirkte. Er fügte das Langhaus an und machte so aus dem Zentralbau eine Basilika. Zeitweise arbeiteten 700 Leute im Schichtsystem; tagsüber schützte ein Zelt sie vor der Sonne, nachts war die Baustelle durchgehend beleuchtet. Im November 1626 konnte die Kirche endlich geweiht werden.
Gian Lorenzo Bernini (1598–1680) vollendete das Vorhaben dann ein zweites, endgültiges Mal. Der Maler, Bildhauer und Baumeister hatte die Begabung, tanzende Räume und schwingende Oberflächen zu schaffen, er besaß die Fähigkeiten eines Bramante und eines Michelangelo, eine auratische Architektur zu schaffen, er akzentuierte auch hier. Bernini gestaltete den Vorplatz des Petersdoms und umrandete ihn mit einer Kolonnadenreihe, die Abschluss und Öffnung zugleich war.
Weitere Kostenlose Bücher