Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Verschwendungssucht gewertet. Die zur Finanzierung des Neubaus aufgelegten Ablässe, diese vermeintlichen Aktien aufs Himmelreich, erzürnten dann auch einen Martin Luther. Und wie ließ sich darüber hinaus auch noch der vom Architekten gewünschte Abriss des Altbaus rechtfertigen, der direkten Rückbindung zum Frühchristentum? Zeitgenossen wie der Schriftsteller Sigismondo dei Conti tadelten termingerecht den geringen künstlerischen Wert der alten Kirche. Julius II. selbst schrieb, als er Gelder einwarb, »die Basilika der Apostel« sei »größtenteils eine Ruine«.
Unter all diesen Entwicklungen zu leiden hatte vor allem und ausgerechnet Michelangelo. Der Papst, erstens in Geldnot und zweitens von Bramante entsprechend angestachelt, stellte die Zahlungen für die Arbeiten am Grabmal ein. Der Künstler wurde nicht mehr empfangen und nicht mehr entlohnt. Zuerst finanzierte er Marmor und Mitarbeiter noch selbst. Dann verließ er Rom, weil er fürchtete, der Papst oder dessen Baumeister würden ihn auch noch umbringen lassen wollen. Am Tag vor der Grundsteinlegung bestieg Michelangelo die Eilpost in die Toskana.
Später, nach seiner Rückkehr aus Florenz, wurde er zur düsteren Begleitstimme der Baumaßnahmen und nannte Bramante einen »Zerstörer«, der die alte Kirche vernichten wolle. Er selbst vollbrachte zwischen 1508 und 1512 wie nebenbei eine der größten Meisterleistungen der Kunstgeschichte: die Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle.
Und Bramante? Triumphierte er?
Sein vermeintlicher Sieg mündete in einer Niederlage. Zwar ließ er tatsächlich Teile der alten Basilika abreißen und schuf so historische Fakten. Des Weiteren ließ er außerdem kolossale Vierungspfeiler in geradezu überirdische Höhe treiben und markierte so schon einmal den künftigen Kuppelbereich.
Aber beim Papst ließ die Begeisterung für Maßlosigkeit nach. Der Westteil der Kirche mit Chor und Grabmalskapelle sollte auf Wunsch des Pontifex kleiner ausfallen als geplant – nicht weil Julius II. diesen Bereich weniger schätzte, sondern weil er ihm besonders wichtig war und weil die Zeit drängte. Nichts passte mehr zusammen, weder der geschrumpfte Chor und die überdimensionale Vierung noch der müde Auftraggeber und sein besessener Architekt. Zeitgenossen verspotteten Bramante als »Ruinante«, als einen Mann der permanenten Tabula rasa.
Noch nach Bramantes Tod 1514 machte man sich über ihn lustig. Der Architekt habe angeordnet, so wurde gelästert, er werde bis zu seiner Wiederauferstehung eine Entscheidung darüber getroffen haben, wo die Tore der neuen Kirche anzubringen seien. Außerdem wolle er, der tote Bramante, erst einmal das ganze Himmelreich umbauen.
Bereits 1513 war Julius II. gestorben. Nicht lange, und auch das Jahrhundertprojekt schien dem Ende nahe. Tatsächlich sollten noch mehr als hundert Jahre bis zur Vollendung verstreichen.
Die Baustelle wirkte lange verwahrlost. Von der neuen Kirche waren nur Versatzstücke fertig, an der alten fehlten Teile des Daches. Dreck und Feuchtigkeit drangen ein, Alt- und Neubau ergaben eine in sich verschachtelte Riesenruine, tragisch und kurios zugleich – so dokumentieren es alte Drucke und Zeichnungen. Der Ort schien die ganze Zerrissenheit des Christentums zu illustrieren. Feierliche Gottesdienste waren kaum möglich, nicht selten standen Klerus und Gläubige im Regen, mussten Zeremonien abgebrochen werden.
Es folgten Jahrzehnte, in denen viel gewollt und wenig gebaut wurde. Raffael, der Maler, wurde leitender Architekt. Für ihn war St. Peter »der erste Tempel der Welt«, und er versprach sich viel Ehre von der Aufgabe. Aber als er 1520 starb, war wenig geschehen. Ihm folgte der frühere Bramante-Schüler Antonio da Sangallo der Jüngere (1483–1546).
Sangallo traute sich Größe zu, aber keine Großartigkeit. Alles wurde neu vermessen, neu berechnet, neu gezeichnet. Er präsentierte schließlich auch ein Modell aus Holz, an dem sieben Jahre lang gearbeitet worden war und das enorme 4500 Scudi kostete. Seine Kirche sollte 425 Meter lang werden, obwohl das Areal das gar nicht hergab. Also hätte er sein Gebäude tief in den vatikanischen Berg hineinbohren müssen. Wieder so eine Gigantomanie – doch ihr widerspricht die kleinteilige, monotone Dekoration der Fassaden.
Gebaut wurde immerhin so viel, dass sich die beiden ungleichen Kirchennachbarn zu einem Gesamtprovisorium verbinden ließen. Dann aber stockte das Projekt wieder. Nachdem Kaiser Karl V. 1527 Rom
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