Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Rest besorgten Helmut Kohl, Ronald Reagan und Michail Gorbatschow.«
»Wie viele Divisionen hat der Papst?«, hatte Josef Stalin einst verächtlich gefragt und damit gemeint, dass der Mann in Rom doch machtlos sei. Nun erwies es sich, dass der Glaube Berge versetzen konnte. Michail Gorbatschow, der Johannes Paul II. am 1. Dezember 1989 als erster Sowjetführer im Vatikan besuchte, sah in dem »Papst aus dem Osten« den maßgeblichen Totengräber des kommunistischen Imperiums.
Als der 58-jährige, für vatikanische Verhältnisse blutjunge Wojtyla im achten Wahlgang von der überwältigenden Mehrheit der 111 wahlberechtigten Kardinäle zum Papst gewählt wurde, kannte ihn im Westen kaum jemand. Er war der erste nichtitalienische Papst seit 455 Jahren, der erste Slawe auf dem Heiligen Stuhl.
Papst Johannes Paul II.
bei einem Besuch in Paris (1980)
RENÉ LEVEQUE /SYGMA /CORBIS
Am Ende seines gut 26-jährigen Pontifikats, des zweitlängsten in der Kirchengeschichte, gab es niemanden auf der Welt, der an seinen Bekanntheitsgrad heranreichte. Sein Sterben und sein Tod am 2. April 2005 bewegten die Weltöffentlichkeit, Nichtgläubige ebenso wie Gläubige. Dazwischen lag eine Epoche der Widersprüche. Mehr als ein Vierteljahrhundert polarisierte der Pole auf dem Stuhl Petri die Welt und die Kirche.
Einerseits wirkte er ungeheuer modern, er brachte frischen Wind in die verstaubte Kurie. Vieles von der steifen Etikette und dem höfischen Zeremoniell seiner Vorgänger schaffte der polnische Pontifex schnell ab. Der Reformpapst Johannes XXIII ., er regierte von 1958 bis 1963, hatte sich noch in einer Sänfte in den Petersdom tragen lassen. Johannes Paul II. stieg in Badehose in den Swimmingpool, der für ihn in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo gebaut worden war – Paparazzi schossen dabei Fotos. Er ließ sich beim Skifahren in den Dolomiten ablichten und im Anorak beim Bergwandern im Aostatal.
Andererseits zeigte sich Johannes Paul II. , geprägt von mystischer polnischer Frömmigkeit, in Glaubensfragen reaktionär. Schon im zweiten Jahr seines Pontifikats entzog er dem Tübinger Theologen Hans Küng die Lehrerlaubnis. Er wandte sich schroff gegen die »Theologie der Befreiung« in Lateinamerika, deren Wortführer Leonardo Boff 1985 ein einjähriges »Bußschweigen« auferlegt wurde. Den Gründer des erzkonservativen Geheimbundes Opus Dei, Josemaría Escrivá, hingegen sprach er 2002 heilig.
Unnachgiebig blieb Johannes Paul II. in Fragen der Geburtenkontrolle, der Sexualmoral, der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Eucharistie, zum gemeinsamen Abendmahl mit Christen anderer Konfessionen, zur Rolle der Frau in der Kirche und zum Zölibat der Priester. Homosexualität verurteilte er ebenso als Todsünde wie den Gebrauch von Kondomen. In Deutschland heftig umstritten war seine kompromisslose Ablehnung einer kirchlichen Schwangerenberatung, deren Bescheinigung den Frauen einen straffreien Schwangerschaftsabbruch ermöglicht hätte. Zögerlich reagierte der Papst auf die Erkenntnis, dass Mitarbeiter der Kirche in großer Zahl ihnen anvertraute Kinder sexuell missbraucht haben.
Über seine Reisefreudigkeit wurde anfangs viel gelästert. Während seine Vorgänger kaum je den Vatikan verlassen hatten, jettete Johannes Paul II. um die Welt. »Eiliger Vater« wurde der fromme Globetrotter deshalb spöttisch genannt. Auf 104 Auslandsreisen besuchte er 129 Länder, dabei legte er mehr als 1,16 Millionen Kilometer zurück.
Wo immer er auftrat, kam überschäumende Entzückung auf; der Menschenfischer mobilisierte die Massen. Sie jubelten ihm zu wie einem Popstar; vor allem Jugendliche verehrten ihn wie ein Idol. Vier Millionen Gläubige sollen 1995 an einer von ihm in der Philippinen-Hauptstadt Manila zelebrierten Messe teilgenommen haben, dem größten Gottesdienst in der Geschichte.
»Ein Pontifikat der Superlative« bescheinigt der in Freiburg lehrende Theologe Jan-Heiner Tück diesem Papst: »Wojtylas charismatische Persönlichkeit, sein wacher Sinn für symbolische Gesten, sein souveräner Umgang mit den Medien stärkten die globale Bedeutung des Papsttums.«
Die Kehrseite beschreibt der in Kassel lehrende Soziologe und bekennende Katholik Heinz Bude: »Wie kein anderer Papst vor ihm war Johannes Paul II. weniger an der inneren Formung denn an der äußeren Wirkung der katholischen Kirche interessiert.« Im Grunde habe er »die Kirche sich selbst überlassen, weil er davon beseelt war, der
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