Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Anliegen und natürlich einen festen Glauben.
An diesem Mittwoch in der Amtszeit Benedikts XVI . warten im Schatten des Baldachins 30 Männer und 3 Frauen. Einige haben ihre Bücher dabei, die sie dem Papst übergeben möchten – über Bücher freut er sich immer –, oder ein Neugeborenes, das begrüßt werden soll. Etwas geschwächt durch Hitze und Aufregung wirkt ein sizilianischer Priester, der mit seinem halben Dorf barfuß nach Rom gepilgert ist, mit einer mannshohen Madonnenstatue, sie ist die Schutzheilige des Heimatortes und soll nun gesegnet werden. Sie alle tuscheln in freudiger Erwartung, und über ihren Köpfen putzen in aller Ruhe zwei Schwestern die Fenster zu den Privatgemächern des Papstes.
Kurz nach 10.30 Uhr treten vier Schweizergardisten aus der Basilika, und Papst Benedikt besteigt das Papamobil, einen perlmuttweißen Mercedes G 500 mit dem Kennzeichen SCV 1. Früher saß Kammerdiener Paolo Gabriele vor ihm auf dem Beifahrersitz; doch damit ist es seit der Affäre um die Veröffentlichung päpstlicher Geheimdokumente und dem anschließenden Prozess vorbei.
Die Pilger freilich wollen nichts wissen von Intrigen im Vatikan. Ihre Sehnsucht nach Trost und Anteilnahme lässt sie hier stehen; gefeiert wird die Verbundenheit mit der Weltkirche. Gefeiert wird der Papst. Wie er in der weißen Soutane durch die Reihen rollt, Kinder segnet, die sie ihm ins Mobil reichen, lächelt, wenn sie »Viva! Viva il papa!« rufen, und die rechte Hand zum Segen hebt.
»Zu Papst Johannes Paul II. ging man, um ihn zu erleben. Zu Benedikt XVI . geht man, um ihn zu hören«, hieß es in Rom über den letzten Papst. Es stimmt – während der anschließenden Messe herrscht andächtige Stille. Sie lauschen Benedikts Worten, sind ergriffen, wenn er sie in bis zu acht Sprachen begrüßt. Audienzmessen seien Wortgottesdienste mit aktuellen politischen Botschaften, eben kein Klatschevent, sagt einer der Audienz-Beauftragten der deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl. Es stimmt, geklatscht wird selten in diesen Messen. Kritiker sagen: Der Papst mit seiner hohen Stimme spreche über die Köpfe der Massen hinweg, der Funken springe nicht über.
In der »prima fila« wappnen sich derweil die Auserkorenen. Frauen verhüllen ihr Haupt mit Schleiern, Männer drängeln. Die Papstsekretäre flüstern ihre Namen, der Papst nickt. Die Geschenke werden nach hinten durchgereicht, man lächelt in die Kameras der Vatikan-Fotografen. Und das Ganze wird live übertragen auf Bildschirmen am Petersplatz. Mittwochsaudienzen sind modernes Public Viewing des Papstes; ein straff organisierter, technisch ausgeklügelter Hofstaat lässt sich hier bestaunen.
Aber was um Himmels willen sagt man einem Papst? Unbedingt etwas Persönliches, meint der Audienz-Beauftragte. Der Papst sei kein Roboter, er sei sehr interessiert und wolle sich auf dem Laufenden halten. Besucher, sagt der Beauftragte, seien überrascht, wie gut informiert Benedikt sei, auf welch hohem Niveau man mit ihm disputieren könne.
Man wird zu schnell durchgewinkt, sagt hingegen Don Antonio Tedesco. Unter dem deutschen Papst seien Audienzen formalisiert, auch die Vier-Augen-Gespräche, die nach der Generalaudienz stattfinden. Franz Beckenbauer bekam so ein Gespräch und auch Lazio-Rom-Spieler Miroslav Klose. Tedesco, »der Deutsche«, ist Priester aus Süditalien. Er hat sechs Päpste erlebt, war viele Jahre lang Leiter des Deutschen Pilgerzentrums am Tiber und hat Tausende Deutsche bei den Audienzen begleitet. Unter Benedikt gebe es weniger Privataudienzen, sagt Tedesco. Johannes Paul II. hingegen war »in Daueraudienz«. Zur Frühmesse in seiner Privatkapelle habe er stets Freunde, Bischöfe und Schwestern um sich geschart. Und während seine Vorgänger allein speisten oder mit ihrem Kanarienvogel, aß Wojtyla meist in Gefolgschaft und mit gesegnetem Appetit.
Gern erinnert sich Tedesco an eine Schlagersängerin, deren Namen ihm leider entfallen sei: Sie habe auf ein persönliches Gespräch gedrängt, dann Wojtyla ihre goldene Schallplatte überreicht und einen Scheck über 100000 Mark. Ein paar Tage später kam ein verwunderter Anruf aus dem Staatssekretariat: Die Platte sei gefärbtes Blech und der Scheck nicht gedeckt. Seitdem war Tedesco vorsichtiger beim Vermitteln von Gesprächen.
Im Gegensatz zum Mittwochstermin sind Privataudienzen die höchste Form der Begegnung mit dem Pontifex. Als die Päpste noch nicht um die Welt reisten, regierten sie ausschließlich durch diese
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