Die Päpste: Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
für solche Eskapaden und die geheimen Zahlungen an Solidarno ść drücken auf die Bilanzen. Auch sonst liegt kein Segen mehr auf Calvis Geschäften. Die Bank rutscht immer tiefer in die roten Zahlen; Calvi fordert von seinen Geschäftspartnern frisches Geld. IOR -Chef Bischof Marcinkus steht ihm mit Patronatsbriefen zur Seite, einer Art halbseidener Bürgschaft, die die Vatikanbank im Endeffekt aber von jeder Haftung entbindet. 1982 summiert sich der Fehlbetrag auf über eine Milliarde Dollar.
Calvi beginnt unverhohlen zu drohen, auch und vor allem dem Vatikan. Wenige Tage vor seinem Tod sagt er zu seiner Tochter: »Wenn ich auspacke, dann werden die Priester den Petersdom verkaufen müssen.« Der Petersdom blieb Eigentum der katholischen Kirche, aber der Banco Ambrosiano ging pleite, und Calvi starb den Tod durch den Strang.
1984 zahlte die Vatikanbank IOR 240 Millionen Dollar an den Banco Ambrosiano – als »freiwillige Leistung« für dessen geprellte Gläubiger. Erzbischof Marcinkus, gegen den die italienischen Behörden 1987 einen Haftbefehl wegen des Verdachts der Beihilfe zum betrügerischen Bankrott erließen, setzte sich später in die USA ab, wo er 2006 starb.
Michele Sindona, der Calvi und Marcinkus zusammengebracht hatte, wurde 1986 im Gefängnis mit Zyankali im Espresso vergiftet. 2005 wurden zwei Mafiosi und drei Helfer des Mordes an Roberto Calvi angeklagt. Sogenannte Pentiti, Mafia-Aussteiger mit Kronzeugenstatus, hatten ausgesagt, Calvi sei auf Befehl der Ehrenwerten Gesellschaft ermordet worden – aus Rache für die von ihm veruntreuten Mafia-Millionen. 2007 wurden die Angeklagten mangels Beweisen freigesprochen.
Im Dezember 2010 beantragte die Staatsanwaltschaft ein Berufungsverfahren vor dem höchsten italienischen Gericht. Knapp ein Jahr später wurde der Antrag abgelehnt. Auch nach 30 Jahren bleibt der Mord an Roberto Calvi unaufgeklärt.
Der Menschenfischer
Mit der Kraft seines Glaubens trug Johannes Paul II. zum Untergang des kommunistischen Imperiums bei. Sein Charisma machte ihn zum Medienstar. Aber kirchlichen Reformen verweigerte er sich.
Von Norbert F. Pötzl
Vor Schreck rief der Atheist den Allmächtigen an. »Um Gottes willen!«, entfuhr es dem kommunistischen polnischen Parteichef Edward Gierek, als er erfuhr, dass sein Landsmann Karol Wojtyla zum Papst gewählt worden war. Totenbleich soll der Minister für Konfessionsangelegenheiten, Kazimierz Krakol, sein – von seinen Zuhörern als Witz aufgefasstes – Versprechen eingelöst haben, im Fall der Wahl eines Polen Champagner zu spendieren.
Den gottlosen Machthabern in Warschau war rasch klar, dass das Votum der Kardinäle am 16. Oktober 1978 für ihr Regime nichts Gutes bedeutete. Wojtyla, bis dahin Erzbischof von Krakau, hatte sein ganzes Priesterleben lang die kommunistische Obrigkeit getriezt. In seinen Predigten und Reden hatte er beharrlich für Religionsfreiheit gekämpft und das Regime herausgefordert. Er hatte neue Gotteshäuser ohne staatliche Genehmigung bauen lassen und die Kirche zum Zufluchtsort für Oppositionelle gemacht.
Die Furcht der Kommunisten vor dem neuen Papst erwies sich als begründet. Als Johannes Paul II. ein Dreivierteljahr nach seiner Wahl die erste Reise (von neun) in seine Heimat unternahm, geriet die Fahrt zum Triumphzug. Der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Breschnew hatte seine polnischen Genossen noch gewarnt: »Empfangen Sie ihn nicht, das gibt nur Ärger.« Doch die Führungskader in Warschau kamen nicht umhin, mit zusammengebissenen Zähnen zuzusehen, wie Millionen katholische Polen ihrem Oberhirten einen begeisterten Empfang bereiteten.
Viele Historiker sehen in Wojtylas Auftritt in Warschau den Anfang vom Ende des Ostblocks. Ein Jahr später entstand die erste freie Gewerkschaft im damaligen sozialistischen Lager, die zu einer Volksbewegung für Demokratie und Freiheit wurde. Die von dem katholischen Elektriker Lech Walesa aus Danzig angeführte Solidarno ść , von Kirche und Papst moralisch unterstützt, bereitete den Weg zur Implosion der kommunistischen Herrschaft.
Ohne Wojtyla hätte es vermutlich Solidarno ść nicht gegeben – und ohne Solidarno ść wohl nicht den raschen Zusammenbruch des Ostblocks. Walesa rechnete 2004 in einem SPIEGEL -Gespräch vor: »Wenn ich in Prozentzahlen ausdrücken sollte, wer wie viel zum Zusammenbruch des kommunistischen Systems beigetragen hat, würde ich sagen: 50 Prozent der Papst, 30 Prozent Solidarno ść und Lech Walesa. Den
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