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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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eine Änderung vorgenommen«, sagte Joseph.
    »Ja, Vater.«
    »Warum?« Die Frage war nicht herausfordernd oder vorwurfsvoll, nur neugierig.
    Johanna erklärte es ihm.
    »Ein kranker alter Mann und ein gesundes kleines Kind«, wiederholte Joseph nachdenklich. »Ein abstoßender Mißklang; da muß
     ich dir zustimmen.«
    »Mehr als ein Mißklang«, erwiderte Johanna. »Ich könnte mir vorstellen, daß auf diese Weise die Krankheit übertragen wird.«
    |313| Joseph blickte sie erstaunt an. »Wie sollte das vor sich gehen? Wo doch die verderblichen Geister und Dämonen überall sind?«
    »Wahrscheinlich sind es nicht die verderblichen Geister, die diese Krankheit verursachen – jedenfalls nicht sie allein. Möglicherweise
     wird die Krankheit durch den körperlichen Kontakt mit ihren Opfern übertragen, oder auch durch Gegenstände, die von den Kranken
     berührt worden sind.«
    Es war zwar ein neuer, aber kein radikaler Gedanke. Daß bestimmte Krankheiten ansteckend waren, wußte man bereits; das war
     schließlich der Grund dafür, daß Aussätzige streng aus der menschlichen Gemeinschaft abgesondert wurden. Zudem stand außer
     Frage, daß Krankheiten oft ganze Familien erfaßten; sämtliche Mitglieder erkrankten binnen weniger Tage, ja, Stunden, und
     wurden mitunter allesamt hinweggerafft. Doch die Ursache für dieses Phänomen kannte man nicht.
    »Die Krankheit wird durch körperlichen Kontakt übertragen? Auf welche Weise?«
    »Das weiß ich nicht«, gab Johanna zu. »Aber als ich heute den kranken Mann gesehen habe … die wunden Stellen an seinem Mund,
     da habe ich gespürt …« Sie hielt inne, zuckte die Achseln. »Ich kann es nicht erklären, Vater. Jedenfalls noch nicht. Doch
     bis ich mehr weiß, möchte ich darauf verzichten, bei der Messe den Kelch herumzureichen, und statt dessen das Brot in den
     Wein tunken.«
    »Du möchtest eine solche Änderung auf eine bloße Vermutung hin vornehmen?« fragte Joseph.
    »Falls ich im Irrtum bin, entsteht dadurch kein Schaden; denn die Gläubigen werden nach wie vor des Leibes und des Blutes
     Jesu Christi teilhaftig«, erwiderte Johanna. »Doch sollte meine … Ahnung sich als zutreffend erweisen, werden wir viele Menschenleben
     retten.«
    Joseph überlegte einen Moment. Eine Änderung im Ablauf der Messe war eine schwerwiegende Angelegenheit. Andererseits war Johannes
     Anglicus ein Gelehrter, der für seine Heilkünste wohlbekannt war. Joseph erinnerte sich noch gut an die aussätzige Frau, die
     Johannes von ihrer Krankheit befreit hatte. Damals wie heute hatte man sich praktisch nur auf Johannes Anglicus’ »Intuition«
     stützen können, weil das erforderliche Wissen fehlte. Solche Intuitionen, ging es Joseph nun |314| durch den Kopf, darf man nicht als Hirngespinste abtun, denn sie sind gottgegeben.
    »Vorerst darfst du es in der Messe so handhaben«, sagte er. »Doch sobald Abt Rabanus zurückkommt, liegt die letzte Entscheidung
     natürlich bei ihm.«
    »Danke, Vater.« Johanna verbeugte sich und verließ schnell das Zimmer, bevor Prior Joseph seine Meinung ändern konnte.
     
    Intinctio
nannten sie das Eintauchen der Hostie in den Wein. Von einigen älteren Brüdern abgesehen, die nicht mehr von den Traditionen
     lassen konnten, wurde diese neue Praxis vom Großteil der Brüder unterstützt, denn sie entsprach sowohl der Ästhetik der heiligen
     Messe als auch den Erfordernissen der Hygiene und Sauberkeit. Ein Mönch aus Corvey, der auf dem Heimweg zu seinem Kloster
     war, zeigte sich dermaßen beeindruckt, daß er seinem Abt vom
intinctio
berichtete, der es daraufhin übernahm.
    In der Folgezeit erkrankten merklich weniger Gläubige an der Pest, doch völlig schwand die Krankheit nicht. Johanna begann
     sorgfältig Buch darüber zu führen, wann und wo neue Krankheitsfälle auftraten, und studierte dann ihre Aufzeichnungen, um
     die Ursache für die Ansteckungen herauszufinden.
    Bei der Rückkehr Abt Rabanus’ fanden ihre Bemühungen ein jähes Ende. Schon kurz nach seiner Ankunft ließ er Johanna in seine
     Unterkünfte rufen, wo er ihr mit strenger Mißbilligung begegnete.
    »Der Meßkanon ist heilig. Wie kannst du es wagen, daran herumzupfuschen!«
    »Die Änderung betrifft doch nur die äußere Form, Vater Abt, nicht das Wesen. Außerdem glaube ich, daß wir dadurch Menschenleben
     retten.«
    Johanna wollte ihm erklären, was sie festgestellt hatte, doch Rabanus schnitt ihr das Wort ab. »Solche Beobachtungen sind
     nutzlos, denn sie entspringen

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