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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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nicht dem Glauben, sondern den Sinnen des menschlichen Körpers – und denen darf man nicht trauen.
     Sie sind Werkzeuge des Bösen, mit denen der Teufel die Menschen von Gott fort und in Trugbilder lockt, die der Verstand uns
     vorgaukelt.«
    »Hätte Gott etwas dagegen, daß wir die stoffliche Welt beobachten« |315| , erwiderte Johanna, »warum hat er uns dann Augen gegeben, zu sehen, und Ohren, zu hören, und eine Nase, zu riechen? Es ist
     gewiß keine Sünde, uns dieser Geschenke zu bedienen, die Gott selbst uns gemacht hat.«
    »Besinne dich der Worte des heiligen Augustinus: ›Zu glauben, was man
nicht
sieht, ist wahrer Glaube!‹«
    »Augustinus hat aber auch gesagt, daß der Mensch an
gar nichts
glauben könnte, hätte Gott ihm nicht die Fähigkeit zu vernunftmäßigem Denken gegeben«, konterte Johanna.
    Abt Rabanus blickte sie düster an. Sein Verstand war zwar scharf, doch abgestumpft durch Dogmen und Doktrinen, phantasielos
     und unbeweglich. Deshalb haßte er logische Dispute dieser Art. Er zog es vor, sich auf dem sicheren Boden der Autorität zu
     bewegen.
    »Nimm den Rat deines Vaters entgegen, und richte dich danach«, zitierte er aus der Ordensregel. »Wende dich wieder Gott zu,
     indem du den schwierigen Weg des Gehorsams beschreitest; denn du hast diesen Weg verlassen, indem du deinem eigenen Willen
     gefolgt bist.«
    »Aber, Vater …«
    »Still jetzt, sage ich!« fuhr Rabanus sie an. Sein Gesicht war wutverzerrt. »Mit sofortiger Wirkung bist du, Johannes Anglicus,
     von deinen Pflichten als Priester entbunden. Und statt eitler Wissenschaft wirst du die Demut studieren, indem du ins Spital
     zurückkehrst. Dort wirst du Bruder Odilo zur Hand gehen und ihm gehorsam und respektvoll dienen.«
    Johanna setzte zum Widerspruch an, überlegte es sich dann aber anders. Rabanus war bis zum Äußersten gereizt; jeder weitere
     Protest konnte die schlimmsten Gefahren heraufbeschwören.
    Mit größter Willensanstrengung senkte Johanna demütig den Kopf. »Wie Ihr befehlt, Vater Abt.«
     
    Als Johanna später darüber nachdachte, was geschehen war, erkannte sie, daß Rabanus recht hatte. Sie war hochmütig und ungehorsam
     gewesen. Doch was nützte der Gehorsam, wenn andere dafür leiden mußten? Das Eintauchen des Brotes in den Wein bei der Messe
rettete
Menschenleben; da war Johanna sicher. Aber wie konnte sie Rabanus davon überzeugen? Auf weitere Diskussionen würde er sich
     nicht einlassen, und einen neuerlichen Widerspruch würde er nicht dulden. |316| Doch vielleicht ließ er sich vom Gewicht der anerkannten Autoritäten überzeugen. Also verbrachte Johanna die wenige freie
     Zeit, die ihr das
opus dei
und ihre Pflichten im Spital ließen, in der Bibliothek, wo sie die Schriften des Hippokrates, Oribasius und Alexander von
     Tralles auf Textstellen durchsah, die ihre Theorie stützen konnten. Sie arbeitete ununterbrochen, schlief jede Nacht nur zwei
     oder drei Stunden und trieb sich an den Rand der völligen Erschöpfung.
    Eines Tages, als Johanna über einem Text des Oribasius saß, entdeckte sie, was sie suchte. Sie kopierte die entscheidende
     Passage und übersetzte sie dabei gleich, als ihr das Schreiben plötzlich unerklärliche Mühe bereitete; ihr schmerzte der Kopf,
     und die Schrift verschwamm ihr vor den Augen. Johanna tat die Symptome als normale Folgeerscheinungen von zu wenig Schlaf
     ab und arbeitete weiter. Dann rutschte die Schreibfeder ihr unerklärlicherweise aus den Fingern und rollte über die Seite,
     wobei sie dunkle Tintenflecke auf dem sauberen Vellum hinterließ und die Worte unkenntlich machte.
Verflixt noch einmal!
schimpfte Johanna im stillen.
Jetzt mußt du die Seite sauber kratzen und wieder ganz von vorn anfangen.
Sie versuchte, die Schreibfeder aufzunehmen, doch ihre Finger zitterten so heftig, daß sie die Feder nicht ergreifen konnte.
    Sie erhob sich und stützte sich auf die Kante des Schreibpults, als ein plötzlicher Schwindelanfall sie überkam und eine Woge
     der Übelkeit in ihr aufstieg. Sie taumelte zur Tür und war kaum hindurch, als ein wütender Schmerz ihren Körper durchraste;
     sie krümmte sich und stürzte schwer zu Boden. Auf Hände und Knie gestützt, übergab sie sich würgend.
    Irgendwie schaffte sie es, sich zum Spital zu schleppen. Bruder Odilo legte sie in eins der Betten und tastete ihr mit der
     Hand die Stirn ab. Seine Finger kamen Johanna so kalt wie Eis vor.
    Sie blinzelte erstaunt.»Hast du dir gerade die Hände gewaschen?« fragte

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