Die Päpstin
ermutigt
und unterstützt. Er war wie ein wahrer Vater für sie gewesen.
In den nächsten zwei Tagen kämpfte Johanna entschlossen um Benjamins Leben. Sie setzte all ihr Können ein, gebrauchte all
das Wissen, das der alte Arzt sie gelehrt hatte, benutzte jedes Mittel, das Hoffnung auf Heilung versprach. Doch das Fieber
wütete weiter. Benjamins großer und kräftiger Körper wurde immer schwächer und schrumpfte wie die leere Hülle eines Kokons,
nachdem die Motte daraus geschlüpft war. Unter der vom Fieber geröteten Haut erschien ein unheilverkündender grauer Schimmer.
|311| »Erteile mir die Absolution«, bat er Johanna. »Ich möchte bei klarem Verstand sein, wenn ich das Sakrament empfange.«
Johanna konnte es ihm nicht länger verweigern.
»Quid me advocasti?«
begann sie, der Liturgie gemäß. »Was wünschst du von mir?«
»Ut mihi unctionis tradas«,
erwiderte er. »Daß du mir die Letzte Ölung erteilst.«
Johanna tauchte die Spitze des Daumens in das Gemisch aus Asche und Wasser und malte damit das Kreuzzeichen auf Bruder Benjamins
Brust; dann legte sie ein Stück Sackleinen – das Symbol der Buße – auf das Kreuz.
Benjamin wurde von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt. Als er vorüber war, sah Johanna, daß der alte Mann Blut gespuckt
hatte. Plötzlich verängstigt, beeilte sie sich, die sieben Bußpsalmen zu sprechen und die rituelle Salbung von Augen, Ohren,
Nase, Mund, Händen und Füßen zu vollziehen. Es kam ihr schrecklich lange vor. Als sie schließlich fertig war, lag Benjamin
mit geschlossenen Augen und vollkommen regungslos da. Sie konnte nicht erkennen, ob er noch bei Bewußtsein war.
Schließlich kam der Augenblick, das Viatikum zu reichen, die Eucharistie bei der Letzten Ölung. Johanna hielt Benjamin die
Hostie hin, doch er reagierte nicht mehr.
Es ist zu spät,
dachte sie verzweifelt.
Ich habe versagt
.
Johanna führte die Hostie an Bruder Benjamins Lippen. Zu ihrer unendlichen Erleichterung öffnete er bei der Berührung die
Augen und nahm die Hostie in den Mund. Johanna schlug das Kreuzzeichen über seinem ausgemergelten Körper. Ihre Stimme schwankte,
als sie das sakramentale Gebet sprach: »
Corpus et sanguis Domini nostri Jesu Christi in vitam aeternam te perducat …«
Er starb im ersten Morgengrauen, als die lieblichen Lobgesänge der Laudes erklangen.
Johanna war zutiefst erschöpft. Von ihrer Trauer um den väterlichen Freund abgesehen, war Benjamins Tod ein großer Verlust
für die Klostergemeinschaft. Niemand wußte so viel über die Heilkräfte der verschiedenen Kräuter und Pflanzen, die im Klostergarten
wuchsen. Sein Tod war ein so herber Verlust, als wäre eine große Bibliothek niedergebrannt.
Da Johanna im Gebet keinen Trost fand, stürzte sie sich in die Arbeit. Die tägliche Messe, die sie las, hatte mehr Zulauf |312| als je zuvor, denn das Schreckgespenst des Todes trieb so viele Gläubige in die Kirche wie noch nie.
Eines Tages, als Johanna bei der Kommunion einen älteren Mann am Kelch nippen ließ, fielen ihr die tränenden Augen, die triefende
Nase, die wunden Stellen um den Mund und die fiebrige Röte seiner Wangen auf. Sie ging zur nächsten Person in der Reihe, einer
schlanken jungen Mutter, die ein süßes kleines Mädchen in den Armen hielt. Die Frau hob das Kind in die Höhe, damit es das
Sakrament empfangen konnte. Das Mädchen öffnete den Mund, doch bevor seine rosigen Lippen den Kelch genau an jener Stelle
berühren konnten, an der zuvor der Mund des alten Mannes gewesen war, zog Johanna den Kelch rasch fort.
Statt dessen nahm sie ein Stück Brot, tunkte es in den Wein und reichte es dem kleinen Mädchen. Verwundert schaute das Kind
seine Mutter an, die ihm ermunternd zunickte; es war zwar eine Abweichung vom gewohnten kirchlichen Ritual, doch der Priester
aus dem Kloster würde schon wissen, was er tat. Johanna schritt weiter die Reihe entlang und tauchte das Brot in den Wein,
statt den Leuten den Becher zu reichen, bis sämtliche Gläubigen die heilige Kommunion empfangen hatten.
Sofort nach Ende der Messe ließ Prior Joseph, der Stellvertreter des Abtes, Johanna zu sich rufen. Sie war froh, daß sie Joseph
und nicht Rabanus Rede und Antwort stehen mußte, denn Joseph gehörte nicht zu den Menschen, die um jeden Preis am Althergebrachten
festhielten – jedenfalls dann nicht, wenn es einen triftigen Grund dafür gab, von den Traditionen abzuweichen.
»Du hast heute bei der Messe
Weitere Kostenlose Bücher