Die Päpstin
sie.
Bruder Odilo schüttelte den Kopf. »Meine Hände sind nicht kalt, Bruder Johannes. Du brennst vor Fieber.« Er blickte sie traurig
an.»Ich fürchte, du hast die Pest bekommen.«
Die Pest!
dachte Johanna benommen.
Nein, das kann nicht sein. Ich bin müde, das ist der Grund. Wenn ich mich erst ein bißchen ausgeruht habe …
|317| Bruder Odilo legte ihr einen Streifen Leinentuch auf die Stirn, den er in kaltes Rosenwasser getaucht hatte. »Lieg jetzt still.
Ich muß rasch frisches Leinen besorgen. Es dauert nicht lange.«
Seine Stimme schien aus weiter Ferne zu kommen. Johanna schloß die Augen. Das Leinentuch fühlte sich kalt und glatt auf ihrer
Haut an, und es tat so gut, still zu liegen, den Duft des Rosenwassers in sich aufzunehmen und friedlich in willkommener Dunkelheit
zu versinken.
Plötzlich riß sie die Augen auf. Odilo würde ihren Körper in ein feuchtes Leinentuch hüllen, um das Fieber zu drücken. Und
zu diesem Zweck mußte er sie entkleiden …
Sie mußte Odilo daran hindern! Dann aber erkannte Johanna, daß es zwecklos war. In ihrer derzeitigen Verfassung war sie viel
zu schwach, um körperliche Gegenwehr zu leisten. Außerdem würde man ihre Proteste auf Fieberwahn zurückführen.
Johanna setzte sich auf und schwang die Beine aus dem Bett. Augenblicklich kehrte der rasende Kopfschmerz zurück, hämmernd
und bohrend. Mit schwankenden Schritten ging Johanna zur Tür. Der Raum drehte sich in einem Übelkeit erregenden Wirbel um
sie herum, doch irgendwie gelang es ihr, weiter zu gehen und den Krankensaal zu verlassen. Rasch wandte sie sich in Richtung
Außenhof. Als sie sich dem Tor näherte, holte sie tief Atem und zwang sich mit eiserner Willenskraft, aufrecht und mit festen
Schritten an Bruder Grimwald, dem Pförtner, vorüberzugehen. Grimwald betrachtete Johanna mit neugierigen Blicken, machte aber
keine Anstalten, sie aufzuhalten. Als Johanna durchs Tor war, schlug sie die Richtung zum Fluß ein.
Benedicte!
Da lag das kleine Fischerboot des Klosters, mit einem Seil am überhängenden Ast eines Baumes vertäut. Johanna band das Seil
los, stieg in den kleinen Nachen und stemmte die Hand ans grasbewachsene Ufer, um sich abzustoßen. Kaum schwenkte das Boot
vom Ufer ab, brach Johanna entkräftet zusammen.
Für einige Augenblicke trieb das Fischerboot bewegungslos im Wasser. Dann wurde es von der Strömung erfaßt und herumgeschwenkt,
bevor es den Fluß hinunterschwamm und dabei rasch an Geschwindigkeit gewann.
|318| Der Himmel drehte sich langsam im Kreis und verzerrte die hohen weißen Wolken zu seltsamen Mustern. Eine dunkelrote Sonne
berührte den Horizont; ihre Strahlen brannten heißer als Flammen und versengten Johannas Gesicht, stachen ihr wie glühende
Nadeln in die Augen. Doch sie ignorierte den Schmerz und beobachtete fasziniert, wie der Rand der Sonnenkugel schimmerte,
verschwamm und allmählich die Umrisse einer menschlichen Gestalt annahm.
Das Gesicht ihres Vaters schwebte langsam auf sie zu und verwandelte sich dabei in einen gräßlichen, grinsenden Totenschädel.
Der lippenlose Mund öffnete sich. »
Mulier!«
rief er; doch es war nicht die Stimme ihres Vaters, sondern die der Mutter. Die Kiefer öffneten sich weiter, und Johanna sah,
daß es gar kein Mund war, sondern ein scheußliches, gähnendes Tor, das in eine undurchdringliche Schwärze führte. Am Ende
dieser unermeßlichen dunklen Höhle brannten Feuer; in gewaltigen, blauroten Säulen schossen die Flammen empor. Menschen waren
in diesen Feuerzungen; ihre Körper wanden und krümmten sich in der grotesken Pantomime unsäglichen Schmerzes. Einer von ihnen
schaute zu Johanna hinüber. Voller Entsetzen sah sie die klaren blauen Augen und das weißgoldene Haar einer hochgewachsenen,
schlanken Frau. Gudrun rief nach ihr, streckte ihr die Arme entgegen. Johanna bewegte sich auf die Mutter zu; doch plötzlich
verlor sie den Boden unter den Füßen, und sie stürzte und stürzte, genau auf das klaffende Tor zu, den Mund des Totenschädels.
»Maaamaaa!« schrie Johanna, als sie in die Flammen fiel …
Sie lag auf einem schneebedeckten Feld. In der Ferne schimmerten die Gebäude von Villaris, auf deren Dächern die Sonne den
Schnee schmolz und deren Strahlen die Wassertropfen wie Tausende winziger Edelsteine funkeln ließ. Johanna hörte das Trommeln
von Pferdehufen, drehte sich um und sah Gerold, der auf Pistis, seinem Hengst, auf sie zugeritten kam. Sie sprang
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