Die Päpstin
in dieser uralten Stadt versammelt, in deren Kirchen es Schätze von unermeßlichem
Wert gab, in der sich die heiligen Gräber der Apostel befanden, und deren Bibliotheken das gesammelte Wissen von Jahrhunderten
bargen. In Rom würde Johanna finden, was sie suchte, und ihre wahre Bestimmung erfahren.
Sie befestigte gerade die Satteltasche, die Arn ihr für die Reise mitgegeben hatte, auf dem Rücken des Maultiers, als die
kleine Arnalda aus dem Haus gerannt kam. Ihr blondes Haar war noch vom Schlaf zerzaust, und auf ihrem kleinen Gesicht lag
ein verängstigter Ausdruck.
|329| »Wo gehst du hin?«
Johanna kniete nieder, so daß sie dem kleinen Mädchen in die Augen blicken konnte. »Nach Rom«, sagte sie, »in die Stadt der
Wunder, wo der Papst zu Hause ist.«
»Hast du den Papst lieber als mich?«
»Ich habe ihn noch nie getroffen. Aber es gibt keinen Menschen, den ich so lieb habe wie dich, kleine Wachtel.« Sie streichelte
das weiche Haar des Kindes.
»Dann geh doch nicht.« Arnalda warf Johanna die Ärmchen um den Hals. »Ich möchte nicht, daß du weggehst.«
Johanna umarmte sie. Der kleine Kinderkörper drängte sich liebevoll an sie, füllte ihre Arme und ihr Herz.
Auch ich hätte ein kleines Mädchen wie dieses haben können, hätte ich einen anderen Weg eingeschlagen. Ein kleines Mädchen,
dem ich meine Liebe geben kann – und das ich lehren kann.
Sie erinnerte sich an das Gefühl der Verlassenheit, als Aeskulapius damals fortgegangen war. Er hatte ihr ein Buch geschenkt,
damit sie weiterlernen konnte. Sie aber war aus einem Kloster geflohen und besaß nichts als die Kleider, die sie am Leibe
trug. Sie konnte dem kleinen Mädchen nicht einmal ein Abschiedsgeschenk machen.
Außer …
Johanna griff in ihre Tunika und zog das Medaillon hervor, das sie seit jenem Tage trug, als Matthias es ihr um den Hals gehängt
hatte. »Das ist die heilige Katharina. Sie war sehr klug und sehr stark, genau wie du.« Mit wenigen Worten erzählte Johanna
dem Mädchen die Geschichte der Heiligen.
Vor Staunen wurden Arnaldas Augen groß und rund. »Obwohl sie ein Mädchen gewesen ist, war sie klüger als die vielen Männer?«
»Ja. Und das kannst du auch sein, wenn du weiterhin fleißig lernst.« Johanna nahm sich das Medaillon ab und legte es Arnalda
um den Hals. »Katharina gehört jetzt dir. Jetzt mußt du an meiner Stelle auf sie aufpassen.«
Arnalda drückte sich das Medaillon an die Brust. In ihrem kleinen Gesicht zuckte es, als sie tapfer gegen die Tränen kämpfte.
Johanna sagte Arn und Bona Lebewohl. Bona reichte ihr einen mit Bier gefüllten Ziegenlederschlauch und ein Eßpaket. »Hier
habt Ihr Butter, Käse und getrocknetes Fleisch. Es wird für vierzehn Tage reichen. In dieser Zeit müßtet Ihr es bis zum Hospiz
geschafft haben.«
|330| »Danke«, sagte Johanna lächelnd. »Ich werde nie vergessen, wie freundlich ihr zu mir wart.«
»Denkt daran, Johanna«, Arns Stimme klang heiser, »daß Ihr stets willkommen bei uns seid. Hier ist Euer Zuhause.«
Johanna umarmte ihn. »Lehre das Mädchen«, sagte sie. »Arnalda ist klug und genauso wißbegierig, wie ihr Vater es früher gewesen
ist.«
Sie stieg aufs Maultier. Die kleine Familie stand um sie herum und blickte sie traurig an. Es schien Johannas Schicksal zu
sein, immer wieder von jenen Menschen Abschied nehmen zu müssen, die sie liebte. Aber das war nun einmal der Preis für das
seltsame Leben, für das sie sich entschieden hatte. Sie hatte diesen Weg mit offenen Augen beschritten und war sich der Folgen
bewußt gewesen; es brachte ihr nur unnötigen Schmerz, diesen Schritt jetzt zu bedauern.
Johanna trat dem Maultier die Hacken in die Weichen, und es trottete los. Nach einem letzten Winken über die Schulter wandte
sie den Blick nach vorn, zu der Straße, die nach Süden führte – nach Rom.
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|331| 19.
ROM
im Jahre des Herrn 844
Anastasius legte die Schreibfeder nieder und spreizte die Finger, um die Verkrampfung zu lösen. Stolz schaute er auf die Seite,
die er soeben geschrieben hatte. Es war der vorerst letzte Eintrag in seinem Meisterstück, dem
Liber Pontificalis
– dem Buch der Päpste, einer ausführlichen Schilderung des Lebens und Wirkens aller Männer, die das höchste Kirchenamt innegehabt
hatten.
Liebevoll strich Anastasius mit der Hand über das reine weiße Vellum, das vor ihm lag. Auf diesen noch unbeschriebenen Seiten
würden eines Tages die Erfolge, Triumphe und der
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