Die Päpstin
hatte es zum Verwalter eines mächtigen Grafen
gebracht.
Vitam regit fortuna,
dachte Johanna. Wahrhaftig, das Glück ist der Herrscher des Lebens. Das galt für sie selbst ebenso wie für jeden anderen Menschen.
»Und hier«, sagte Arn stolz, »sind meine Frau Bona und Arnalda, unser Töchterchen.« Bona, eine dralle, hübsche junge Frau
mit fröhlichen Augen und einem strahlenden Lächeln, war sogar noch jünger als ihr Mann, höchstens achtzehn Winter. Sie war
bereits Mutter, doch ihr schwellender Leib ließ erkennen, |323| daß sie ihr zweites Kind erwartete. Arnalda sah wie ein Engel aus; sie hatte ein süßes Gesicht mit großen blauen Augen, lockiges
blondes Haar und rote Wangen. Sie lächelte Johanna strahlend an und zeigte dabei ein Paar bezaubernder Grübchen.
»Ihr seid eine wundervolle Familie« sagte Johanna.
Arn strahlte und winkte Frau und Tochter zu sich. »Kommt her, und sagt Bruder …« Er zögerte. »Wie soll ich Euch anreden? ›Bruder
Johannes‹ kommt mir doch reichlich seltsam vor, nachdem wir jetzt wissen …
was
wir wissen.«
»Johanna.« Der Name klang vertraut und fremd zugleich in ihren Ohren. »Sag Johanna zu mir; denn das ist mein richtiger Name.«
»Johanna«, wiederholte Arn, der sich sichtlich darüber freute, daß ihm soviel Vertrauen entgegengebracht wurde. »Wenn Ihr
möchtet, dann erzählt uns doch, wie es gekommen ist, daß Ihr unter den Benediktinern im Kloster Fulda gelebt habt. Man möchte
kaum glauben, daß so etwas möglich ist. Wie, in Gottes Namen, habt Ihr das geschafft? Und was hat Euch dazu gebracht? Wußte
jemand von Eurem Geheimnis? Hat niemand Verdacht geschöpft?«
Johanna lachte. »Die Zeit hat deiner Neugier nicht geschadet, wie ich sehe.«
Es gab keinen Grund zur Täuschung. Johanna erzählte Arn alles, angefangen von ihrer unorthodoxen Ausbildung an der Domschule
in Dorstadt bis hin zu den Jahren im Kloster zu Fulda und zu ihrer Berufung ins Priesteramt.
»Demnach wissen die Brüder immer noch nicht, daß Ihr eine Frau seid«, sagte Arn nachdenklich, als Johanna geendet hatte. »Wir
dachten schon, daß man Eure wahre Identität entdeckt hat und daß Ihr deshalb fliehen mußtet. – Möchtet Ihr denn ins Kloster
zurück? Ich würde Euch diese Möglichkeit niemals versperren. Eher würde ich auf der Folterbank sterben, als daß jemand auch
nur ein Wort über Euer Geheimnis aus mir herausbekommt!«
Johanna lächelte. Arns männlichem Erscheinungsbild zum Trotz hatte er noch sehr viel von dem kleinen Jungen, als den sie ihn
gekannt hatte.
»Zum Glück«, sagte sie, »gibt es keinen Grund für ein solches Opfer. Ich bin rechtzeitig entkommen, und die Bruderschaft hat
keinen Grund, mich zu verdächtigen. Aber … ich weiß nicht, ob ich ins Kloster zurückkehren
möchte.«
|324| »Was möchtet Ihr dann?«
»Eine gute Frage«, sagte Johanna. »Eine sehr gute Frage. Aber bis jetzt weiß ich noch nicht die Antwort darauf.«
Arn und Bona hegten und pflegten Johanna wie zwei überängstliche Mutterhennen und bestanden darauf, daß sie noch ein paar
Tage im Bett verbrachte. »Ihr seid noch nicht kräftig genug«, beharrten die beiden. Johanna blieb keine Wahl, als diese liebevolle
Fürsorge über sich ergehen zu lassen, und sie vertrieb sich die langen Stunden damit, die kleine Arnalda zu unterrichten.
So jung sie noch war, legte sie bereits den wachen Verstand ihres Vaters an den Tag; sie lernte mit Feuereifer und war begeistert,
eine so unterhaltsame und kluge Freundin zu haben.
Wenn Arnalda am Ende eines jeden Tages ins Bett gebracht worden war, lag Johanna noch lange Zeit wach und dachte über ihre
Zukunft nach. Sollte sie nach Fulda zurückkehren? Sie hatte fast zwölf Jahre im Kloster verbracht; sie war in seinen Mauern
praktisch aufgewachsen, und es fiel ihr schwer, sich vorzustellen, anderswo zu leben. Aber sie mußte sich nun einmal den Tatsachen
stellen: Sie war jetzt siebenundzwanzig und hatte die besten Jahre bereits hinter sich. Im Kloster zu Fulda wurden die Mönche
aufgrund des rauhen Klimas, des asketischen Lebens, des spartanischen Essens und der ungeheizten Räume selten älter als vierzig
Jahre; Bruder Deodatus war mit seinen vierundfünfzig Wintern derzeit der Senior der Klostergemeinschaft. Wie lange konnte
sie sich gegen die Unbilden des Alters zur Wehr setzen? Wie lange würde es dauern, bis sie wieder erkrankte und erneut das
Risiko auf sich nehmen mußte, als Frau enttarnt zu
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