Die Päpstin
werden, was ihren Tod bedeuten würde?
Außerdem war da noch Abt Rabanus. Er war ihr entschiedener Gegner, und er gehörte nicht zu den Menschen, die rasch ihre Meinung
änderten. Er hatte ihr schon Probleme genug bereitet – und Gott allein wußte, welche Schwierigkeiten und Strafen sie noch
erwarteten, falls sie ins Fuldaer Kloster zurückkehrte.
Außerdem drängte es Johanna nach Veränderung, nach neuen Ufern. In der Klosterbibliothek zu Fulda gab es kein Buch, das sie
nicht schon gelesen hatte. Sie kannte jeden noch so kleinen Riß in der Wand des Schlafsaals. Und es lag Jahre |325| zurück, daß sie morgens mit dem herrlichen Gefühl gespannter Erwartung erwacht war, daß irgend etwas Neues und Interessantes
geschah. Sie sehnte sich danach, eine größere, weitere Welt zu erforschen.
Wohin konnte sie gehen? Zurück nach Ingelheim? Nein. Jetzt, da Mutter tot war, zog sie nichts mehr dorthin. Nach Dorstadt?
Was hoffte sie dort zu finden? Gerold, der noch immer auf sie wartete, der seine Liebe zu ihr all die Jahre im Herzen getragen
hatte? Schon der Gedanke war lächerlich. Bestimmt war Gerold wieder verheiratet, und da wäre ihm ihr plötzliches Wiederauftauchen
alles andere als willkommen. Außerdem hatte sie vor langer Zeit ein anderes Leben für sich selbst gewählt – ein Leben, in
dem für die Liebe eines Mannes kein Platz war.
Nein, sagte sie sich. Gerold und Fulda gehören der Vergangenheit an. Jetzt mußt du entschlossen in die Zukunft blicken – wie
immer sie aussehen mag.
»Bona und ich haben beschlossen«, sagte Arn, »daß Ihr bei uns bleiben sollt. Es wäre schön, wenn wir noch eine Frau im Haus
hätten, die Bona Gesellschaft leisten und ihr beim Kochen und Nähen helfen könnte – besonders jetzt, wo sie ihr zweites Kind
erwartet.«
Arns Angebot war zwar unbeholfen vorgebracht, aber freundlich gemeint; deshalb erwiderte Johanna lächelnd: »Ich fürchte, das
wäre ein schlechtes Geschäft für dich. Ich konnte nie gut mit Nadel und Faden umgehen, und was die Küchenarbeit betrifft,
wäre ich wohl auch keine große Hilfe.«
»Es wäre Bona eine Freude, Euch das Kochen und Nähen beizubringen, und …«
»Um ehrlich zu sein«, unterbrach Johanna ihn, »ich habe so lange wie ein Mann gelebt, daß ich wohl nie eine tüchtige Hausfrau
werde – die ich ohnehin niemals gewesen bin. Nein, Arn«, sie winkte ab, als er widersprechen wollte, »das Leben eines Mannes
paßt besser zu mir. Und mir gefallen die vielen Vorteile zu gut, als daß ich darauf verzichten möchte.«
Arn dachte darüber nach. »Dann tragt Eure Verkleidung doch einfach weiter und lebt wie ein Mann«, sagte er. »Uns macht es
nichts aus. Ihr könntet im Garten helfen … oder Arnalda unterrichten. Mit Euren Spielen und Unterrichtsstunden habt Ihr sie
schon ganz verzaubert – so, wie Ihr damals mich verzaubert hattet.«
|326| Es war ein großzügiges Angebot. In dieser glücklichen und wohlhabenden Familie konnte sie so gefahrlos wie nirgendwo sonst
Schutz und Sicherheit finden. Doch diese Welt, so behaglich sie auch sein mochte, war viel zu klein für Johannas wiedererwachte
Abenteuerlust. Sie war nicht aus Fulda geflohen, um nun die Klostermauern gegen andere Mauern einzutauschen.
»Gott segne dich, Arn. Du hast ein gutes Herz. Aber ich habe andere Pläne.«
»Und welche?«
»Ich werde auf eine Pilgerreise gehen.«
»Nach Tours? Zum Grab des heiligen Martin?«
»Nein«, sagte Johanna, »nach Rom.«
»Rom!« stieß Arn fassungslos hervor. »Habt Ihr den Verstand verloren? Das ist viel zu gefährlich!«
»Jetzt, wo der Krieg vorbei ist, werden auch andere diese Pilgerreise unternehmen.«
Arn schüttelte den Kopf. »Mein Herr, der Graf Riculf, hat mir gesagt, daß Lothar trotz seiner Niederlage bei Fontenoy seine
Krone nicht aufgegeben hat. Er ist zurück zum Kaiserpalast nach Aachen geflüchtet und sucht nun Männer, um die gelichteten
Reihen seines Heeres wieder zu füllen. Graf Riculf sagt, Lothar habe sogar den Sachsen Angebote gemacht, um sie auf seine
Seite zu ziehen. Er will ihnen erlauben, wieder zu ihren alten heidnischen Göttern zu beten, falls sie für ihn kämpfen.«
Wie sehr hätte Mutter über
diese
unerwartete Wendung der Dinge gelacht,
dachte Johanna.
Ein christlicher Kaiser macht das Angebot, die alten heidnischen Götter wiedereinzusetzen.
Sie konnte sich vorstellen, was Gudrun dazu gesagt hätte: Der sanfte Märtyrer-Gott der Christen mag zwar für
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