Die Päpstin
päpstlicher
Sekretär ins Zimmer. »Gott hat den Heiligen Vater zu sich gerufen«, sagte er. »Nun ist Eure Anwesenheit im päpstlichen Schlafgemach
erforderlich,
nomenclator.«
Schweigend, Seite an Seite, schritten die Männer durch das Labyrinth der Flure und Hallen des Lateranpalastes, um zu den päpstlichen
Gemächern zu gelangen.
Schließlich brach der Sekretär das Schweigen. »Papst Gregor war ein gottesfürchtiger Mann«, sagte er. »Ein Friedensstifter.
Ein Heiliger.«
»Ein Heiliger, in der Tat«, erwiderte Anastasius und fügte in Gedanken hinzu: Und wo könnte er da besser aufgehoben sein als
im Himmel?
»Wann mögen wir wieder einen solchen Papst bekommen?« Die Stimme des Sekretärs schwankte vor Bewegung.
Anastasius sah, daß der Mann weinte. Der Anblick aufrichtiger Gefühle faszinierte ihn. Er selbst war viel zu überlegt, als
daß er sich
lacrimae rerum
hingegeben hätte. Nur zu gut kannte er die Wirkung, die seine Worte und sein Tun auf andere Menschen hatten. Dennoch gemahnte
ihn die Reaktion des Sekretärs, vor den kirchlichen Würdenträgern ein angemessenes Maß an Trauer zu heucheln. Bevor er die
Tür zum päpstlichen Schlafgemach erreichte, holte Anastasius tief Luft, hielt den Atem an und verzog das Gesicht, bis er einen
Stich hinter den Augen verspürte. Auf diese Weise konnte er Tränen hervorbringen, wann immer er es wollte. Er benutzte diesen
Trick nur selten, doch er verfehlte seine Wirkung nie.
Im Schlafgemach hatte sich eine immer noch wachsende |334| Zahl von Trauernden eingefunden. Gregor lag auf dem großen Federbett, die Augen geschlossen, die Arme übereinandergeschlagen,
und die Hände um ein goldenes Kreuz gelegt. Die anderen
optimates
, die hohen Würdenträger des päpstlichen Palasts, hatten sich bereits am Totenbett eingefunden: Anastasius sah den
vicedominus
Arighis, den Haushofmeister; den
primicerius
Compulus, den Leiter der päpstlichen Verwaltung, sowie den
vestiarius
Stephan, den Vorsteher der Kleiderkammer.
»Der
nomenclator
Anastasius«, verkündete der Sekretär, als Anastasius das Zimmer betrat. Die anderen blickten auf und sahen, daß der junge
Mann von tiefer Trauer ergriffen war. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck des Schmerzes, und seine Wangen schimmerten naß
vom nicht versiegenden Tränenstrom.
Johanna hob den Kopf und ließ sich die warme römische Sonne ins Gesicht strahlen. Sie hatte sich noch immer nicht an ein so
angenehmes, mildes Wetter im Wintarmanoth gewöhnt – oder im Januar, wie der Monat in diesem südlichen Teil des Kaiserreiches
genannt wurde, in dem römische Sitten und Gebräuche herrschten, keine fränkischen.
Rom war anders, als Johanna es sich vorgestellt hatte. Sie hatte erwartet, eine prunkvolle Stadt vorzufinden, schimmernd von
Gold und Marmor, in der Hunderte von Kirchen sich in einen strahlend blauen Himmel erhoben – als erhabenes Zeugnis der Existenz
einer wahren
civitas dei,
einer Gemeinschaft Gottes auf Erden. Doch die Wahrheit sah ganz anders aus: Rom war wildwuchernd, schmutzig und wimmelnd von
Menschen, und die schmalen, unebenen Straßen schienen eher in der Hölle als im Himmel entstanden zu sein. Diejenigen antiken
Monumente, die man nicht zu christlichen Kirchen umgebaut oder als Steinbrüche benutzt hatte, lagen in Trümmern. Tempel, Amphitheater,
Paläste und Bäder waren ihres Goldes und Silbers beraubt worden; dann hatte man sie achtlos den Elementen preisgegeben. Wilder
Wein rankte sich um die Stümpfe der umgestürzten Säulen; Jasmin und Akanthus wuchsen auf den Mauertrümmern; Schweine, Ziegen
und Ochsen mit riesigen Hörnern grasten in den verfallenden Innenhöfen.
Rom war eine Stadt uralter und scheinbar unvereinbarer |335| Widersprüche: das Staunen der Welt und zugleich ein verfallender, schmutziger Hinterhof; eine der bedeutendsten christlichen
Pilgerstätten, deren größte Kunstwerke jedoch zu Ehren heidnischer Götter entstanden waren; eine Hochburg des Lehrens und
der Wissenschaften, deren Einwohnerschaft indes von Unwissenheit und Aberglaube geprägt wurde.
Trotz dieser Widersprüche – oder vielleicht gerade deswegen – liebte Johanna die Stadt. Das laute, wimmelnde Durcheinander
auf den Straßen faszinierte sie; hier trafen Ströme von Waren und Menschen aus den entferntesten Winkeln der Erde zusammen
und vermischten sich zu einem schäumenden Strudel: Römer, Langobarden, Germanen, Byzantiner und Moslems drängten sich auf
den
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