Die Päpstin
gewöhnliche Dinge
taugen; aber wenn es darum geht, in Schlachten zu siegen, muß man schon Thor und Odin und all die anderen schrecklichen Kriegsgötter
meines Volkes anrufen.
»So, wie die Dinge stehen, dürft Ihr diese lange Reise nicht unternehmen«, sagte Arn. »Es ist zu gefährlich.«
Natürlich hatte er recht. Der kriegerische Streit zwischen den königlichen Brüdern hatte zu einem vollständigen Zusammenbruch
der staatlichen Ordnung geführt. Die offenen und unbewachten Straßen waren zu gefahrlosen Tummelplätzen für umherstreifende
Banden von Briganten, Mördern und Gesetzlosen aller Art geworden.
|327| Doch Johanna ließ sich davon nicht abschrecken. »Mir wird schon nichts passieren«, sagte sie. »Jeder Halunke weiß, daß es
bei einem schlichten Priester auf Pilgerfahrt nichts zu holen gibt.«
»Aber einige von diesen Teufeln töten Reisende schon der Sachen wegen, die sie am Leibe tragen!« rief Arn. »Ich verbiete Euch,
allein zu gehen!« In seiner Stimme lag eine Autorität, die er sich einem Mann gegenüber nie herausgenommen hätte. Aber er
wußte ja, daß er eine Frau vor sich hatte.
»Ich bin mein eigener Herr, Arn«, erwiderte Johanna mit Schärfe in der Stimme. »Ich gehe, wohin ich will.«
Arn, der seinen Fehler erkannte, wurde sofort kleinlaut. »Dann wartet wenigstens noch drei Monate«, bat er. »Dann kommen die
Gewürzhändler durch diese Gegend. Sie reisen unter schwerer Bewachung, denn wegen ihrer kostbaren Fracht wollen sie kein Risiko
eingehen. Sie könnten Euch den ganzen Weg bis Langres Schutz gewähren.«
»Langres? Das ist bestimmt nicht der kürzeste Weg nach Rom, oder?«
»Nicht der kürzeste«, gab Arn zu, »aber der sicherste. In Langres gibt es eine Herberge für Pilger, die nach Süden wollen;
Ihr werdet keine Schwierigkeiten haben, dort eine Reisegruppe zu finden, der Ihr Euch anschließen könnt und die Euch Schutz
gewährt.«
Johanna ließ sich seinen Vorschlag durch den Kopf gehen. »Wahrscheinlich hast du recht.«
»Mein Herr, der Graf Riculf, hat diese Pilgerfahrt vor einigen Jahren selbst unternommen. Er hat immer noch die Karte, auf
der er seine Reiseroute eingezeichnet hat. Ich habe sie hier im Haus.« Er öffnete eine verschlossene Truhe und nahm eine Pergamentrolle
heraus.
Die Ränder der Karte waren angedunkelt und mit den Jahren ausgefranst, aber die Tinte war noch nicht verblaßt; deutlich waren
die kräftigen dunklen Linien auf dem vergilbenden Pergament zu erkennen – Linien, die den Weg nach Rom markierten.
»Danke, Arn«, sagte Johanna. »Ich werde deinen Vorschlag beherzigen. Drei Monate Aufschub sind keine sehr lange Zeit. Und
dann kann ich mich noch länger um Arnalda kümmern. Sie ist ein kluges Mädchen und kommt beim Lernen sehr schnell voran.«
|328| »Dann ist es also abgemacht.« Arn rollte das Pergament zusammen.
»Wenn es möglich ist, würde ich mir die Karte gern noch ein bißchen anschauen, Arn.«
»Nehmt Euch soviel Zeit, wie Ihr wollt. Sollte irgend etwas sein – ich bin draußen bei den Ställen und beaufsichtige die Schafschur.«
Arn lächelte sie an und ging davon, sichtlich zufrieden, wenigstens diesen Teilerfolg erzielt zu haben.
Johanna atmete tief durch, füllte ihre Lungen mit dem lieblichen Duft des beginnenden Frühlings. Zu dieser Stunde versammelte
sich die Bruderschaft zu Fulda im dunklen Innern des Kapitelsaales; die Mönche saßen dicht an dicht auf den kalten, harten
Bänken aus Stein und lauschten dem Bruder Zellerar, der über die Lebensmittelvorräte des Klosters Bericht erstattete. Doch
sie war jetzt hier, frei und ungebunden, und vor ihr lag das wahrscheinlich größte Abenteuer ihres Erwachsenenlebens.
Als Johanna die Karte betrachtete, stieg eine Woge der Erregung in ihr auf. Es gab eine große, breite Straße von hier nach
Langres. Von Langres aus führte diese Straße nach Süden, durch Besançon und Orbe, dann am Genfer See vorbei und hinauf bis
nach Le Valais. Dort, am Fuße der Alpen, gab es eine klösterliche Herberge, in der die Pilger Rast einlegen und sich mit Proviant
versorgen konnten. Dann führte der Weg weiter durch die Berge, über den großen Sankt Bernhard, den bequemsten und meistbereisten
Paß der Alpen. Hinter dem Paß ging es dann geradewegs die Via Francigena hinunter, die durch Aosta, Pavia und Bologna bis
in die Toskana führte. Und von dort aus in die Heilige Stadt.
Nach Rom.
Rom.
Die größten Geister der Menschheit waren
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