Die Päpstin
Essensmengen Sergius vertilgen und
wieviel Wein er in sich hineinschütten konnte. Bei einer einzigen Mahlzeit hatte er einmal fünf Forellen, zwei Brathähnchen,
ein Dutzend Fleischpasteten und eine Rehkeule verschlungen. Nach dieser Freßorgie war er am nächsten Tag dermaßen aufgebläht
und vollgestopft zur Morgenmesse erschienen, daß er zum Entsetzen der versammelten Glaubensgemeinschaft die geheiligte Hostie
auf den Altar erbrochen hatte.
Dieser zutiefst beschämende Vorfall hatte den Heiligen Vater zum Umdenken veranlaßt. Sergius hatte beschlossen, zur schlichten
Ernährungsweise seiner Lehr- und Jugendjahre zurückzukehren: Brot und Grüngemüse. Diese spartanische Diät tat ihm so gut,
daß er sich sogar wieder seinen Amtsgeschäften zuwandte – was seinem Bruder Benedikt natürlich ganz und gar nicht behagte;
denn es war seinen ehrgeizigen Plänen im Wege. So wartete Benedikt den richtigen Zeitpunkt ab. Als er der Meinung war, daß
Sergius genug fromme Selbstverleugnung getrieben hatte, begann er wieder, ihn mit außergewöhnlichen Geschenken zu locken:
wundervolle exotische Leckerbissen, Pasteten, Gemüsesuppen, gegrillte Schweine und Fässer mit schwerem toskanischem Wein.
Für Sergius begann eine neuerliche Zeit der Völlerei.
Diesmal aber trieb er es mit den Gelagen zu weit. Er wurde krank, schwer krank. Benedikt hatte kein Mitleid mit seinem älteren
Bruder, doch seinen Tod wollte er nicht. Denn wenn Sergius starb, würde dies auch das Ende von Benedikts Macht bedeuten.
Also mußte irgend etwas unternommen werden. Die Ärzte, die sich um Sergius kümmerten, waren ein unfähiger Haufen, der die
Krankheit des Papstes auf das Wirken mächtiger Dämonen zurückführte, gegen deren boshafte Kraft nur Gebete etwas ausrichten
konnten. So umgaben sie Sergius mit einer Unzahl von Priestern und Mönchen, die sich Tag und Nacht an seinem Bett aufhielten,
klagten und beteten und die Stimmen flehend zum Himmel erhoben. Doch es half nichts: Sergius’ Zustand verschlechterte sich
weiter.
Aber Benedikt hatte nicht die Absicht, sein Schicksal an einen so dünnen Faden zu hängen, wie Gebete es waren.
Ich muß etwas unternehmen,
sagte er sich.
Aber was?
|340| »Ehrwürdiger Herr.«
Benedikt wurde von der dünnen, zögernden Stimme Celestinus’, eines der päpstlichen Kammerdiener, aus seinen Gedanken gerissen.
Wie die meisten seiner Amtskollegen war Celestinus der Sproß einer reichen, vornehmen römischen Familie, die ein hübsches
Sümmchen für die Ehre bezahlt hatte, daß der Junge dem Papst als
cubicularius
dienen durfte. Benedikt konnte Celestinus nicht leiden. Was wußte dieser verhätschelte Weichling schon vom Leben und dem harten
Los, sich aus Armut und Dunkelheit nach oben kämpfen zu müssen?
»Was ist?«
»Der edle Anastasius ersucht um eine Audienz, Herr.«
»Anastasius?« Benedikt konnte mit dem Namen nichts anfangen.
»Der Bischof von Castellum«, half Celestinus ihm auf die Sprünge.
»Du wagst es, mich zu belehren?« Wutentbrannt gab Benedikt dem jungen Burschen eine schallende Ohrfeige. »Ich hoffe, das wird
dir Respekt beibringen! Und jetzt mach dich auf den Weg, und schaffe mir den Bischof hierher.«
Celestinus eilte davon und preßte die Hand auf die Wange. Tränen liefen ihm übers Gesicht. Benedikt dagegen juckte es schon
wieder in den Fingern. Am liebsten hätte er dem Jungen noch eine Ohrfeige verpaßt, denn so gut wie jetzt hatte er sich seit
Tagen nicht gefühlt.
Augenblicke später kam Anastasius hoheitsvoll durch die Tür geschritten. Hochgewachsen, schlank und kultiviert, war er das
Urbild aristokratischer Eleganz, und er war sich seiner Wirkung auf andere durchaus bewußt.
»Paxis vobiscius«,
begrüßte Benedikt den Besucher in schrecklichem Latein.
Anastasius rümpfte die Nase angesichts dieser sprachlichen Barbarei, achtete aber darauf, sich seine Verachtung nicht allzu
deutlich anmerken zu lassen. »
Et cum spiritu tuo«,
erwiderte er mit leiser Herablassung. »Wie geht es Seiner Heiligkeit dem Papst?«
»Schlecht, sehr schlecht.«
»Tut mir leid, das zu hören.« Diese Bemerkung war mehr als eine höfliche Floskel; Anastasius war tatsächlich besorgt. Die
Zeit war noch nicht reif für Sergius’ Tod. Es dauerte noch mehr als ein Jahr, bis Anastasius fünfunddreißig wurde und damit |341| das Mindestalter für das Papstamt erreicht hatte. Falls Sergius jetzt schon starb, konnte es sein, daß man einen jüngeren
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