Die Päpstin
kleines Fläschchen, in dem sich mit Honig vermischter Wein
befand. Behutsam setzte Johanna das Fläschchen mit der kostbaren Flüssigkeit an die Lippen und nahm einen tiefen Schluck,
um sich gegen die Fäulnis und die verderblichen Säfte und Dämpfe in dem Verlies zu schützen, die tödliche Entzündungen hervorrufen
konnten. Schließlich legte sie sich auf die Pritsche, blies die Kerze aus und zog sich den zerrissenen Wollumhang als behelfsmäßige
Decke über den Körper.
Still lag sie in der Dunkelheit. Fürs erste hatte sie alles getan, was in ihrer Macht stand. Jetzt mußte sie erst einmal ausruhen
und ihre Kräfte schonen, bis Papst Sergius nach ihr schicken ließ.
[ Menü ]
|370| 21.
Es war das Fest der Heimsuchung Mariä; der Feiertagsgottesdienst fand in der Titularkirche von Santa Prassede statt. Obwohl
die Sonne gerade erst aufgegangen war, füllten die Straßen vor dem Patriarchum sich bereits mit Zuschauern, die aufgeregt
auf das Erscheinen Papst Sergius’ warteten. Als der Himmel heller wurde, waren die Straßen von Leben und Treiben, Farben und
Geräuschen erfüllt.
Schließlich wurden die großen Bronzetüren des Patriarchums geöffnet. Zuerst erschienen die Akoluthen und andere Kleriker niederen
Ranges, die demutsvoll zu Fuß gingen. Ihnen folgte eine Gruppe berittener Soldaten der päpstlichen Garde, die ihre scharfen
Blicke über die Menge schweifen ließen und nach möglichen Unruhestiftern Ausschau hielten. Hinter ihnen kamen, ebenfalls zu
Pferde, die Diakone und Notare aus den sieben Stadtteilen Roms; jedem schritt ein Priester voran, der eine Fahne mit dem
signum
des betreffenden Kirchengebietes trug. Dann kamen der Erzpriester und der Erzdiakon, beide gefolgt von weiteren Priestern
und Meßgehilfen. Schließlich erschien Sergius selbst, in eine prächtige, goldene und silberne Robe gekleidet. Er ritt auf
einem großen braunen Roß, das eine verzierte Decke aus weißer Seide trug. Unmittelbar hinter dem Papst ritten die
optimates
in der Rangfolge ihrer Bedeutung; zuerst kam Arighis, der
vicedominus
; dann folgten der
vestiarius
, der
sacellarius
, der
arcarius
und der
nomenclator.
Die lange Prozession zog über den ausgedehnten Hof des Lateran, zuerst an der großen, berühmten Bronzestatue der Wölfin vorbei,
der
mater romanorum
oder »Mutter der Römer«, die der Sage nach die Gründer der Stadt, die Brüder Romulus und Remus, gesäugt hatte. Die Statue
hatte heftige Kontroversen ausgelöst: Auf der einen Seite gab es jene, die das Standbild als Gotteslästerung und als Gegenstand
heidnischer |371| Götzenverehrung betrachteten – der zudem praktisch vor den Mauern des päpstlichen Palastes stand –; doch andere hatten die
Statue mit gleicher Leidenschaft verteidigt und ihre Schönheit und die einzigartige technische und künstlerische Ausführung
gepriesen.
Gleich hinter dem Standbild der Wölfin verließ die Prozession den Platz vor dem Lateran und bewegte sich mit gemessener Würde
in nördliche Richtung durch die Straßen der Stadt. Die Gläubigen zogen unter dem riesigen Bogen der Aqua Claudia hindurch,
des claudischen Aquädukts, mit seinem hohen, wunderschön proportionierten Backsteinmauerwerk, und bogen dann auf die antike
Via Sacra ein, die heilige Straße, über die schon seit Jahrhunderten die Päpste gezogen waren.
Sergius blinzelte in die Strahlen der tiefstehenden Sonne. Er hatte Kopfschmerzen, und das rhythmische Schaukeln seines Pferdes
machte ihn benommen; er packte die Zügel fester und straffte sich.
Das ist die Strafe, die ich für meine Völlerei bezahlen muß,
dachte er reumütig. Er hatte wieder gesündigt und sich den Bauch mit reichlich gutem Essen und Wein vollgeschlagen. Sergius
verachtete sich selbst seiner Schwäche wegen und nahm sich mindestens zum zwanzigstenmal in dieser Woche fest vor, sich zu
bessern.
Mit einem Stich des Bedauerns dachte er an Johannes Anglicus. Er hatte sich so viel besser gefühlt, als dieser kleine ausländische
Arzt ihn behandelt hatte. Doch nach Johannes’ schändlichem Vergehen mit Marioza war es damit natürlich vorbei. Johannes Anglicus
war ein verachtenswerter Sünder, ein Priester, der gegen das heiligste aller Gelübde verstoßen hatte.
»Gott segne unseren Heiligen Vater!« Die Jubelrufe lenkten Sergius’ Gedanken wieder auf das Hier und Jetzt. Er schlug das
Kreuzzeichen und segnete die Menge, wobei er gegen einen Anfall von Übelkeit kämpfte, während die
Weitere Kostenlose Bücher