Die Päpstin
Anführer des Trupps packte Johannas Arm und schubste sie zur Tür.
»Wohin bringt ihr mich?« fragte Johanna, obwohl sie die Antwort schon kannte.
»In den Lateran. Ihr werdet dem Papst in dieser Sache Rede und Antwort stehen.«
Johanna riß sich aus dem Griff des Mannes los, drehte sich zu Marioza um und sagte: »Ich weiß nicht, weshalb Ihr das tut |364| oder für wen, aber ich gebe Euch einen guten Rat, Marioza: Macht Euer Glück nicht von der Gefälligkeit der Männer abhängig,
denn sie werden sich als so flüchtig erweisen wie Eure Schönheit.«
Marioza gefror das Grinsen auf den Lippen. »Barbar!« spie sie verächtlich aus.
Von einer Woge aus Gelächter wurde Johanna aus dem Zimmer getragen.
Dunkelheit senkte sich über Rom. Flankiert von den Soldaten der päpstlichen Garde, ging Johanna schweigend durch die Straßen
in Richtung Lateranpalast. Obwohl sie allen Grund gehabt hätte, konnte sie Marioza nicht hassen. Hätte das Schicksal sie selbst
nicht auf einen anderen Weg geführt, wäreauch sie vielleicht zur Prostituierten geworden. In den Straßen Roms wimmelte es
von Frauen, die ihren Körper für den Preis einer Mahlzeit anboten. Viele waren ursprünglich als fromme Pilgerinnen oder sogar
als Nonnen in die Stadt gekommen, standen dann aber plötzlich ohne Unterkunft da und hatten nicht die finanziellen Mittel
für die Reise zurück in die Heimat. Deshalb hatten sie, der Not gehorchend, zur schnellsten und einfachsten Möglichkeit des
Broterwerbs gegriffen.
Von der Sicherheit der Kanzel aus wetterte der Klerus gegen diese »Handlangerinnen des Teufels«. Es sei besser, keusch zu
sterben, erklärten die Priester, als in Sünde zu leben. Aber diese Leute, sagte sich Johanna, hatten nie am eigenen Leibe
erfahren, was Hunger ist.
Nein, man konnte Marioza keine Schuld geben; sie war nur ein Werkzeug.
Aber in wessen Händen?
fragte sich Johanna.
Wer hat einen Vorteil davon, mich in Verruf zu bringen?
Ennodius, zum Beispiel, und die anderen Mitglieder der Ärztegemeinschaft. Sie waren solcher Machenschaften durchaus fähig.
Aber sie hätten mit Sicherheit eher darauf abgezielt, Johannas ärztliche Fähigkeiten in Mißkredit zu bringen.
Wenn nicht die Ärzte, wer war es dann?
Johanna gab sich die Antwort sofort selbst:
Benedikt.
Seit der Geschichte mit dem Orphanotrophium hatte er nichts unversucht gelassen, Johanna entgegen zu arbeiten; offenbar war
er seines Bruders wegen eifersüchtig. Diese Erkenntnis gab Johanna neuen Mut; wenn man den Feind kannte, war er nur |365| noch halb so gefährlich. Und Johanna hatte nicht die Absicht, Benedikt ungeschoren davonkommen zu lassen. Gewiß, er war Sergius’
Bruder; aber sie war der Arzt und Freund des Papstes, und sie würde dafür sorgen, daß er die Wahrheit erfuhr.
Als Johanna im Lateranpalast eintraf, führten die Wachen sie zu ihrem Entsetzen an der Großen Halle vorbei, in der Sergius
mit den
optimates
und anderen Würdenträgern des päpstlichen Hofes beim Essen saß. Die Männer zerrten Johanna den Gang hinunter bis zu Benedikts
Zimmer.
»Sieh an, sieh an! Was haben wir denn da?« sagte Benedikt spöttisch, als die Männer Johanna ins Zimmer führten. »Johannes
Anglicus, von den päpstlichen Wachen umringt wie ein gemeiner Dieb?« Er wandte sich an den Kommandeur der Wachtmannschaft.
»Sprich, Tarasius, und erzähl mir, welchen Vergehens dieser Priester sich schuldig gemacht hat.«
»Wir haben ihn in den Gemächern der Hure Marioza aufgegriffen, Herr.«
»Marioza!« Benedikt brachte einen gekonnten Blick tiefster Verachtung zustande.
»Wir haben ihn im Bett dieser Dirne entdeckt – in intimer Umarmung«, fügte Tarasius hinzu.
»Ich wurde unter dem falschen Vorwand zu ihr bestellt, daß sie erkrankt sei«, wehrte Johanna sich.»Man hat mich hereingelegt.
Marioza wußte, daß die Wachen kommen. Sie hat mich zu sich aufs Bett gezogen, kurz bevor die Männer ins Zimmer stürmten.«
»Soll ich Euch etwa glauben, daß eine Frau Euch überwältigt hat? Schande über Euch, Ihr schamloser Priester!«
»Ihr
habt Schande auf Euch geladen, Benedikt. Ihr habt die ganze Geschichte eingefädelt, um mich in Verruf zu bringen. Ihr habt
dafür gesorgt, daß Marioza mich zu sich bestellte – unter dem Vorwand, krank zu sein. Dann habt Ihr mir die Wachen hinterhergeschickt,
wohl wissend, daß diese Männer Marioza und mich zusammen antreffen würden.«
»Ich will es gar nicht erst leugnen.«
Johanna blickte
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