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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Wir dachten, Ihr wißt
     bereits davon.«
    Bittere Galle stieg Sergius in die Kehle. »Und das Geld?«
    »Benedikt hat es vergangene Nacht holen lassen. Es waren insgesamt elf Truhen. Er hat sie mitgenommen.«
    »Unmöglich!« Doch Sergius kannte die Wahrheit, auch wenn er sie vor sich selbst zu verleugnen versuchte: Benedikt hatte ihn
     betrogen.
    |376| Sergius war hilflos. Nun würden Lothars Heere in Rom einmarschieren, und er konnte nichts, aber gar nichts tun, um den Kaiser
     aufzuhalten.
    Eine Woge der Übelkeit überschwemmte ihn. Er beugte sich zur Seite aus dem Bett und erbrach seinen säuerlichen Mageninhalt
     auf den Fußboden. Dann versuchte er, aufzustehen, schaffte es aber nicht; ein stechender Schmerz durchfuhr seine Beine und
     machte sie unbeweglich. Celestinus und Arighis eilten Sergius zur Hilfe und hoben ihn zurück, betteten ihn auf die Kissen.
     Sergius drehte den Kopf zur Seite und ließ den Tränen freien Lauf, weinte ungehemmt wie ein Kind.
    »Bleib bei ihm«, sagte Arighis zu Celestinus. »Ich muß zum Kerker hinunter.«
     
    Johanna starrte auf die Essenschüssel, die vor ihr stand. Es gab ein kleines Stück schimmeliges Brot, dazu eine Scheibe grauen,
     sehnigen Fleisches von unbestimmbarer Herkunft, von dem ein Übelkeit erregender Geruch ausging. Johanna hatte seit mehreren
     Tagen nichts gegessen, zumal ihr die Wächter – sei es aus Vergeßlichkeit oder mit Absicht – nicht jeden Tag etwas gebracht
     hatten. Sie starrte auf das Fleisch; der Hunger kämpfte mit der Abscheu. Schließlich schob Johanna die Schüssel zur Seite,
     nahm nur das Brot, biß ein kleines Stück ab und kaute bedächtig.
    Wie lange war sie jetzt schon hier unten? Zwei Wochen? Drei? Der ständigen Dunkelheit wegen hatte sie längst das Zeitgefühl
     verloren. Mit der Kerze war sie sehr sparsam umgegangen; sie hatte sie nur angezündet, wenn es etwas zu essen gab, oder um
     sich ein Heilmittel aus den Kräutern und Pulvern in ihrem Ranzen zu bereiten. Trotzdem war die Kerze zu einem Stummel heruntergebrannt,
     der vielleicht noch für ein, zwei Stunden kostbares Licht spendete.
    Noch schrecklicher als die Dunkelheit aber war das Alleinsein. Die vollkommene, ununterbrochene Stille war nervtötend. Um
     sich zu beschäftigen, dabei aber ihre Kräfte zu schonen, hatte Johanna sich mit einer Reihe geistiger Aufgaben befaßt und
     im Kopf die vollständige Benediktinerregel, die einhundertundfünfzig Psalmen und die gesamte Apostelgeschichte zitiert. Aber
     diese Gedächtnisübungen wurden bald zu eintönig, als daß sie Johanna hätten ablenken können.
    Sie mußte daran denken, wie der große Theologe Boethius |377| unter ähnlich schrecklichen Bedingungen Trost und Kraft im Gebet gefunden hatte. Stundenlang kniete sie auf dem kalten Steinboden
     des Verlieses und versuchte zu beten. Doch in ihrem tiefsten Innern war nur Leere. Der Same des Glaubens, den die Mutter ihr
     in der Kindheit eingepflanzt hatte, war aufgegangen und hatte tiefe Wurzeln in ihrer Seele geschlagen. Johanna versuchte,
     sie auszureißen, sich empor in das tröstende Licht der göttlichen Gnade zu erheben – doch sie konnte es nicht. Hörte Gott
     ihr zu? War er überhaupt da? Als die Tage vergingen, ohne daß sie ein Wort von Sergius hörte, verlor Johanna nach und nach
     die Hoffnung.
    Das laute Klirren von Metall, als draußen an der Tür der Riegel gehoben wurde, riß Johanna aus ihrem Dämmer. Augenblicke später
     schwang die Tür weit auf, und blendendes Licht fiel in die Schwärze des Verlieses. Johanna beschirmte die Augen gegen die
     Grelle und schaute blinzelnd zum Türeingang. Vor dem hellen Hintergrund zeichnete sich umrißhaft die Gestalt eines Mannes
     ab.
    »Johannes Anglicus?« rief der Mann unsicher in die Finsternis.
    Johanna erkannte die Stimme augenblicklich. »Arighis!« Sie erhob sich. Die plötzliche, ungewohnte Bewegung ließ sie vor Schwindel
     taumeln. Mit schwankenden Schritten ging sie durch das verpestete Wasser zur Tür. »Hat Sergius Euch geschickt?«
    Der päpstliche Haushofmeister schüttelte den Kopf. »Seine Heiligkeit will Euch nicht sehen.«
    »Aber wieso …?«
    »Er ist schwer krank, so wie damals. Ihr habt ihm damals ein Mittel gegeben, das ihm geholfen hat. Habt Ihr etwas von der
     Medizin bei Euch?«
    »Ja.« Johanna griff in ihren Ranzen und nahm ein kleines Päckchen Colchicumpulver heraus. Arighis wollte es nehmen, doch Johanna
     zog rasch die Hand zurück.
    »Was denn?« sagte Arighis verwundert.

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