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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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beinahe zögerlich in der tiefen Finsternis und ließ unbestimmbare Gestalten und Umrisse erkennen.
     Das Verlies war riesig; etwa zehn Meter lang und sechs, sieben Meter breit. Die Wände waren aus schweren Steinen gemauert,
     die mit den Jahren in der klammen Luft einen schmierigen, dunklen Bewuchs bekommen hatten. In |368| Anbetracht der Schlüpfrigkeit des Bodens unter ihren Füßen vermutete Johanna, daß auch er aus Stein war, wenngleich sie sich
     unmöglich sicher sein konnte, denn der Boden war zentimeterhoch von schleimigem, übelriechendem Wasser bedeckt.
    Johanna hob die Kerze höher, so daß die Flamme weiter leuchtete. In der entfernten Ecke des Verlieses schimmerte umrißhaft
     eine bleiche Gestalt – eine menschliche Gestalt, fahl und unstofflich wie die eines Gespenstes.
    Ich bin nicht allein.
Erleichterung durchflutete Johanna – der augenblicklich Beklommenheit folgte. Schließlich befand sie sich hier in einem Kerker.
     War diese seltsame Erscheinung ein Verrückter? Oder ein Mörder? Oder beides …?
    »Dominus tecum«,
sagte Johanna zögernd.
    Der Mann erwiderte nichts. Johanna wiederholte den Gruß, diesmal in der Sprache des gemeinen Volkes, und fügte hinzu: »Ich
     bin Johannes Anglicus, Priester und Heiler. Kann ich irgend etwas für dich tun, Bruder?« Der Mann saß zusammengesunken an
     der Wand; die Arme hingen schlaff herunter, und die Beine waren weit gespreizt. Johanna ging näher heran. Das Licht der Kerze
     fiel auf das Gesicht des Mannes – nur, daß es kein Gesicht mehr war, sondern ein Schädel, eine gräßliche Totenfratze, an der
     noch Reste von Haar und verwesendem Fleisch hafteten.
    Mit einem Schrei warf Johanna sich herum und rannte zur Tür, wobei ihre Füße durchs Wasser platschten. Sie hämmerte gegen
     die dicken Eichenbohlen, bis ihr die Knöchel bluteten. Niemand hörte sie. Niemand kam. Man würde sie hier unten in der Finsternis
     sterben lassen, einsam und allein …
    Johanna schlug die Arme um den Oberkörper, als würde sie frieren, und versuchte, ihr Zittern zu unterbinden. Allmählich verebbten
     die Wogen des Grauens und der Verzweiflung, die ihren Körper durchliefen, und eine andere Empfindung stieg in ihr auf – eine
     trotzige, wilde Entschlossenheit, zu überleben und gegen das Unrecht zu kämpfen, das sie hierher in diesen Kerker gebracht
     hatte. Ihr Verstand, der zeitweilig vom Schock und vor panischer Angst betäubt gewesen war, begann wieder scharf und präzise
     zu arbeiten.
    Ich darf die Hoffnung nicht aufgeben,
sagte sie sich entschlossen.
Sergius wird mich nicht ewig in diesem Kerker schmachten lassen. Zuerst wird er zornig reagieren, wenn er Benedikts Lügengeschichte
     über den Vorfall mit Marioza hört, doch in ein paar Tagen
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wird er sich beruhigen und nach mir schicken lassen. Ich brauche nur bis dahin durchzuhalten.
    Johanna nahm eine vorsichtige Umrundung des Verlieses in Angriff. Sie kam an den Überresten dreier weiterer Gefangener vorbei;
     aber diesmal war sie auf den Anblick gefaßt; außerdem sahen die Leichen nicht so scheußlich wie die erste aus. Sie mußten
     schon lange Zeit hier unten liegen, denn an den bleichen, blanken Knochen befanden sich weder Haut noch Haar. Johannas Erkundungsrunde
     führte außerdem zu einer wichtigen Entdeckung: Eine Seite des Verlieses war höher als die andere, und auf dieser erhöhten
     Seite reichte das schleimige, faulige Wasser nicht bis an die Wand, so daß es hier einen langen Streifen trockenen Fußbodens
     gab. An der Wand lag ein achtlos fortgeworfener, alter Umhang aus Wolle, schmutzig und voller Löcher, doch als Schutz gegen
     die durchdringende Feuchtigkeit in dieser unterirdischen Kammer immer noch zu gebrauchen.
    In einer anderen Ecke des Verlieses machte Johanna einen weiteren Fund: Eine Pritsche aus Stroh trieb auf dem Wasser. Die
     Matratze war dick, ordentlich gefertigt und so dicht verwoben, daß die Oberseite trocken geblieben war. Johanna zog die Pritsche
     zur erhöhten Seite des Verlieses hinüber, setzte sich darauf und stellte die Kerze neben sich ab. Dann öffnete sie wieder
     ihren Ranzen, nahm reichlich Nieswurz heraus und verstreute das giftige schwarze Pulver in einem großen Kreis um sich herum;
     es war eine Abschreckungslinie gegen Ratten und anderes Ungeziefer.
    Schließlich holte sie ein Päckchen mit zerstampfter Eichenrinde hervor, dann ein weiteres, in dem sich getrockneter Salbei
     befand; sie riß beide Päckchen auf und gab ihren Inhalt in ein

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