Die Päpstin
Prozession sich langsam
die schmale Via Sacra hinunter bewegte.
Sie waren soeben am Kloster des Honorius vorbeigekommen, als die Menge plötzlich aufgeregt auseinanderlief, um einen herangaloppierenden
Mann hindurchzulassen. Pferd und Reiter waren sichtlich erschöpft; das Tier hatte Schaum vor dem Maul, sein Fell glänzte vor
Schweiß, und seine Flanken bebten. Die Kleidung des Reiters war zerrissen, und sein |372| Gesicht war vom Staub und Schlamm der Straße schwarz wie das eines Sarazenen. Er zerrte an den Zügeln und brachte sein Pferd
vor den kirchlichen Würdenträgern zum Stehen.
»Wie könnt Ihr es wagen, diese geheiligte Prozession zu stören!« rief Eustathius, der Erzdiakon, entrüstet. »Wächter, ergreift
diesen Mann und peitscht ihn aus. Fünfzig Schläge werden ihn lehren, in Zukunft mehr Achtung vor uns zu haben!«
»Er … kommt …« Der Mann war so sehr außer Atem, daß die Worte kaum zu verstehen waren.
»Halt!« rief Sergius die Wächter zurück, die den Mann packen wollten. »Wer kommt?«
»Lothar«, stieß der Reiter keuchend hervor.
»Der Kaiser?« fragte Sergius fassungslos.
Der Reiter, der langsam zu Atem kam, nickte. »An der Spitze eines riesigen fränkischen Heeres. Heiligkeit, er hat Euch und
dieser Stadt für die Kränkung, die ihm angetan wurde, blutige Rache geschworen!«
»Kränkung?« Für einen Augenblick konnte Sergius sich nicht vorstellen, was der Mann damit meinte. Dann fiel es ihm ein. »Die
Papstweihe!«
Als Sergius dieses Wort rief, erhob sich ängstliches, bestürztes Gemurmel in der Menge. Nach der Wahl Sergius’ zum Oberhaupt
der christlichen Kirche hatte die Stadt Rom ihn sofort feierlich zum Papst geweiht, ohne das erforderliche Einverständnis
des Kaisers einzuholen. Dies aber war ein Bruch eines seit dem Jahre 824 bestehenden Abkommens, welches Lothar das Recht des
kaiserlichen
jussio
gewährte – dem Einverständnis mit der Wahl des Papstes
vor
dessen Weihe. Dennoch war Sergius’ »eigenmächtige« Papstweihe weithin begrüßt worden; man betrachtete diesen Schritt als stolze
Wiederbehauptung römischer Unabhängigkeit gegenüber der fernen fränkischen Krone. Andererseits war es ein eindeutiger und
absichtlicher Affront Lothar gegenüber, wenngleich das
jussio
einen eher symbolischen denn faktischen Charakter besaß: Noch nie hatte der Kaiser einer Papstwahl seine Zustimmung verweigert,
und niemand hätte je damit gerechnet, daß Lothar nun so nachdrücklich auf dieses Recht pochen würde.
»Wo ist der Kaiser zur Zeit?« Sergius’ Stimme war ein heiseres Flüstern.
»In Viterbo, Heiligkeit.«
|373| Diese Nachricht wurde von der Menge mit Entsetzensschreien aufgenommen. Viterbo lag in der römischen Ebene und war nur sechs
Tagesmärsche von der Stadt entfernt.
»Er ist eine Geißel, Heiligkeit, eine wahre Heimsuchung«, sagte der Reiter. »Seine Soldaten morden und plündern, brennen die
Bauernhöfe nieder, treiben das Vieh davon und reißen die Weinreben aus der Erde. Sie nehmen sich, was sie wollen – und was
sie nicht wollen, das verbrennen sie. Wer ihnen in die Hände fällt, wird ohne Gnade getötet – Frauen, alte Männer, Säuglinge
in den Armen ihrer Mütter – keiner bleibt verschont. Dieses Grauen …«, seine Stimme brach, »… man kann sich dieses Grauen
nicht vorstellen …«
Von Schrecken erfüllt, ratlos und hilfesuchend, schauten die Menschen ihren Papst an. Doch es war kein Trost, den sie bei
seinem Anblick fanden: Vor den entsetzten Blicken der Römer wurde Sergius’ Gesicht plötzlich schlaff; er verdrehte die Augen
und kippte bewußtlos nach vorn auf den Rücken seines Pferdes.
»Mein Gott, der Papst ist tot!« durchbrach ein Schrei die Stille und wurde von Dutzenden anderer Zungen aufgenommen. Rasch
umringten die Männer der päpstlichen Garde Sergius, hoben ihn vom Pferd und trugen ihn ins Patriarchum. Der Rest der Prozession
folgte dichtauf.
Die verängstigte Menge drängte auf den Hof. Eine gefährliche Panik drohte auszubrechen. Inmitten der verzweifelten Menschen
ritten die Männer der päpstlichen Garde mit gezogenen Schwertern und schlagbereiten Peitschen umher. Sie trieben die Menge
vom Hof auf die schmalen dunklen Straßen und zurück in die Einsamkeit ihrer Häuser.
Angst und Schrecken nahmen zu, als Flüchtlinge aus der umliegenden Ebene durch die Tore in die Stadt strömten – aus Farfa
und Narni, Lauretum und Civitaveccia. Die Menschen kamen in hellen
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