Die Päpstin
Fußboden gerissen.
Sie hatten sogar – möge Gott sie mit Blindheit schlagen! – den gesamten Hochaltar fortgeschafft. Da es ihnen nicht gelungen
war, den bronzenen Sarg zu transportieren, in dem der heilige Petrus ruhte, hatten sie ihn aufgebrochen und die Gebeine des
Apostels entweiht und über den Boden verstreut.
Die gesamte Christenheit trauerte. Zum erstenmal war diese älteste und bedeutendste christliche Kirche geschändet worden,
und unersetzliche Kostbarkeiten waren für immer verloren. Hier, in Sankt Peter, hatten ungezählte Generationen von Pilgern
demütig niedergekniet, darunter die mächtigsten Männer der Erde. Hier war die letzte Ruhestätte vieler Päpste. Die abendländische
Welt kannte keinen heiligeren Ort. Und nun war dieses Heiligtum des wahren Glaubens, das weder die Goten noch die Vandalen,
weder die Griechen noch die Langobarden zu entweihen gewagt hatten, einer Horde Briganten aus Nordafrika zum Opfer gefallen.
Sergius gab sich die Schuld an der Katastrophe. Er zog sich in seine Gemächer zurück und weigerte sich, irgend jemanden zu
empfangen; nur Johanna und einige enge Ratgeber ließ er zu sich vor. Und er fing wieder mit dem Trinken an, leerte Becher
um Becher toskanischen Weins, bis sein Verstand in gnädiges Vergessen versank.
Die Auswirkungen dieses Rückfalls waren vorherzusehen: Mit aller Macht kehrte die Gicht wieder. Um seine Schmerzen zu lindern,
trank Sergius immer mehr. Er schlief schlecht. Nacht für Nacht erwachte er schreiend, von schrecklichen Träumen geplagt, in
denen er vom rachsüchtigen Geist des toten Benedikt heimgesucht wurde. Johanna hatte Angst, daß Sergius’ ohnehin geschwächtes
Herz diese Belastungen nicht mehr lange durchhalten konnte.
»Denkt an die Buße, die ich Euch auferlegt habe!« sagte Johanna. »Keinen Wein!«
|429| »Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, erwiderte Sergius niedergeschlagen. »Ich habe die Hoffnung auf das Himmelreich aufgegeben.
Gott hat mich verstoßen.«
»Gott verstößt niemanden. Und Ihr dürft Euch nicht die Schuld daran geben, was geschehen ist. Gewisse Dinge liegen außerhalb
aller menschlichen Macht. Man kann nichts dagegen tun.«
Sergius schüttelte den Kopf. »Die Seele meines ermordeten Bruders klagt mich an! Ich habe gesündigt, und das ist nun meine
Strafe.«
»Kommt endlich zur Besinnung«, sagte Johanna streng. »Denkt an die Menschen! Sie brauchen jetzt mehr als je zuvor Euren Trost
und Eure Führung.«
Sie hatte diese Worte gesagt, um dem Papst Mut zu machen; aber die Wahrheit sah anders aus. Die Menschen hatten sich gegen
Sergius gewandt. Es habe genug Warnzeichen gegeben, was den Überfall durch die Sarazenen betraf, sagten die Leute, und der
Papst habe Zeit genug gehabt, den heiligen Sarkophag und die anderen Schätze aus Sankt Peter in die Sicherheit der Stadtmauern
bringen zu lassen. Sergius’ Glaube an die göttliche Errettung, den man zuvor noch auf dem ganzen Erdkreis gepriesen hatte,
wurde nun von allen Menschen als Folge seines sündigen und auf katastrophale Weise fehlgeleiteten Hochmuts verdammt.
»Mea culpa«,
sagte Sergius leise und unter Tränen. »
Mea maxima culpa.«
Johanna redete auf ihn ein, machte ihm Mut, schimpfte ihn aus, doch ohne Erfolg. Sergius hatte darauf vertraut, daß der Glaube
allein genügte; er hatte mit der ganzen Kraft seines Innern daran geglaubt, daß Gott selbst den Petersdom verteidigen würde.
Daß es anders gekommen war, faßte Sergius als persönliches Urteil gegen sich selbst auf. Seine Gesundheit verfiel beängstigend
schnell. Johanna tat für ihn, was sie konnte, doch es war sinnlos. Sergius wünschte sich den Tod.
Doch sein Sterben dauerte lange. Als Sergius längst schon den klaren Verstand verloren hatte und in einen Dämmerzustand versunken
war, weigerte sein Körper sich immer noch, den letzten Funken des Lebens verlöschen zu lassen.
Dann, an einem sonnenlosen, dunklen Morgen, starb er. Sein Tod war so still und friedlich gekommen, daß man es erst Stunden
später bemerkte.
|430| Johanna betrauerte Sergius aufrichtig. Er war weder ein so guter Mensch noch ein so guter Papst gewesen, wie er es hätte sein
sollen, doch Johanna wußte besser als jeder andere, welcher Dämonen Sergius sich hatte erwehren müssen, und wie schwer sein
Kampf gewesen war, sich von diesen bösen Geistern zu befreien. Daß er am Ende unterlegen war, machte seinen Kampf nicht weniger
ehrenvoll.
Sergius wurde im
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