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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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beweisen.«
    »Lothar wird toben vor Wut!«
    »Bis dahin spielt das keine Rolle mehr. Nach der Wahl werden wir unverzüglich die Papstweihe vornehmen, ohne auf den kaiserlichen
jussio
zu warten. Unter diesen Umständen wird niemand protestieren; denn angesichts der andauernden Bedrohung durch die Sarazenen
     darf Rom nicht einen Tag länger als nötig führerlos bleiben. Wenn Lothar erfährt, was geschehen ist, bist du bereits Bischof
     von Rom und sitzt auf dem Papstthron – und der Kaiser kann nichts, aber auch gar nichts dagegen unternehmen.«
    Anastasius schüttelte bewundernd den Kopf. Sein Vater hatte die komplizierte Lage mit einem einzigen Blick erfaßt! Dieser
     alte Fuchs mochte vielleicht grau werden – von seiner Schläue und Gerissenheit hatte er kein bißchen eingebüßt.
    Arsenius hielt dem Sohn einen langen eisernen Schlüssel hin. »Geh in die Schatzkammer und nimm dir an Gold, soviel du brauchst,
     um die Leute bei der Wahl auf deine Seite zu bringen. – Verflucht!« rief er. »Hätte ich nicht dieses gottverdammte Fieber,
     würde ich das alles selbst in die Hand nehmen.«
    Der Schlüssel lag kalt und hart in Anastasius’ Hand und vermittelte ihm ein beruhigendes Gefühl der Macht. »Ruhe dich aus,
     Vater. Ich schaffe das schon allein.«
    Arsenius legte ihm die Hand auf die Schulter. »Sei auf der Hut, mein Sohn. Du spielst ein gefährliches Spiel. Oder hast du
     schon vergessen, was damals deinem Onkel Theodorus passiert ist?«
    Vergessen! Die Ermordung seines Onkels im Lateranpalast war der schrecklichste Augenblick in Anastasius’ Kindheit gewesen.
     Der Ausdruck auf Theodorus’ Gesicht, als die päpstlichen Wachen ihm die Augen ausgestochen hatten, würde ihn bis zum letzten
     Tag seines Lebens verfolgen.
    »Ich werde vorsichtig sein, Vater«, sagte er. »Überlaß alles mir.«
    »Genau das«, erwiderte Arsenius, »habe ich vor.«
     
    |433|
»Domine labia mea aperies …«,
betete Johanna, die auf dem kalten Steinfußboden der Kapelle des Patriarchums kniete. Doch wie innig sie auch betete – es
     gelang ihr nicht, ins reine Licht der göttlichen Gnade emporzusteigen; die starke Anziehungskraft einer menschlichen Bindung
     war zu tief verwurzelt und hielt sie auf Erden fest.
    Sie liebte Gerold. Es hatte keinen Sinn mehr, diese schlichte Wahrheit zu verleugnen oder den Versuch zu machen, sich dieser
     Einsicht zu verschließen. Als Johanna ihn an der Spitze der Beneventanischen Truppen auf die Stadt hatte zureiten sehen, hatte
     sie gespürt, wie ihr ganzes Selbst mit der überwältigenden Kraft tiefer Liebe zu ihm hingezogen wurde.
    Sie war jetzt dreiunddreißig Jahre alt. Doch sie hatte niemanden, zu dem sie wirklich gehörte, niemanden, mit dem sie durch
     eine tiefe menschliche Beziehung verbunden war. Die Notwendigkeit, sich fast ihr ganzes bisheriges Erwachsenenleben als Mann
     auszugeben, hatte ihr enge menschliche Beziehungen unmöglich gemacht. Sie hatte ein Leben der Täuschung geführt und die Wahrheit,
     wer sie wirklich war, verleugnet.
    War das der Grund dafür, daß Gott ihr nun seine Gnade vorenthielt? Wollte er, daß sie ihre Verkleidung ablegte und das Leben
     einer Frau führte, als die Gott sie erschaffen hatte?
    Sergius’ Tod hatte sie von jeder Verpflichtung in Rom entbunden. Anastasius wurde der neue Papst, und bei ihm gab es keinen
     Platz mehr für sie.
    Johanna hatte ihre Gefühle für Gerold lange Zeit unterdrückt. Jetzt kam es ihr so vor, daß es richtig wäre, sich diesen Gefühlen
     endlich hinzugeben und dem Diktat des Herzens zu folgen, nicht dem des Verstandes.
    Aber wie wird es sein, wenn Gerold und ich uns wiedersehen? fragte sie sich. Sie lächelte leicht, als sie sich die Freude
     dieses Augenblicks vorstellte.
    Alles war jetzt möglich. Alles konnte geschehen.
     
    Am Tag der Papstwahl hatte sich bereits gegen Mittag eine riesige Menschenmenge auf dem großen freien Platz im Südwesten des
     Lateranpalastes versammelt. Dem uralten Brauch gemäß – der in der Verfassung von 824 gesetzlich verankert worden war – nahmen
     alle Römer, Geistliche und Laien, an der Wahl eines neuen Papstes teil.
    |434| Johanna stand auf den Zehenspitzen und versuchte, über das Meer aus wogenden Köpfen und Armen hinwegzuspähen. Wo war Gerold?
     Gerüchte besagten, er wäre von seinem wochenlangen Feldzug gegen die sarazenischen Banden zurückgekehrt. Falls das zutraf,
     hätte er normalerweise hier sein müssen. Johanna wurde von plötzlicher Furcht gepackt. War

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