Die Päpstin
Gerold zurück nach Benevento gezogen,
ohne daß sie beide sich begegnet waren?
Respektvoll bildete die Menge eine Gasse, als der Erzpriester Eustathius, der Erzdiakon Desiderius und der
primicerius
Paschal auf den Marktplatz kamen. Diese Männer waren das Triumvirat, das die Stadt traditionsgemäß
sede vacante
regierte – in der Zeit zwischen dem Tod des alten und der Wahl des neuen Papstes.
Eustathius sprach mit lauter Stimme ein kurzes Gebet. »Himmlischer Vater, leite uns bei unserem heutigen Tun, auf daß wir
ehrenvoll und wohlüberlegt handeln; auf daß der Haß nicht die Vernunft besiege und auf daß die Lüge sich nicht mit der Wahrheit
vermische. Im Namen der Heiligen und untrennbaren Dreifaltigkeit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.«
Als nächster ergriff Paschal das Wort. »Seine Heiligkeit Papst Sergius ist zu Gott berufen worden, und nun fällt es uns zu,
seinen Nachfolger zu bestimmen. Jeder Römer, der hier anwesend ist, mag seine Stimme erheben und erklären, welchen Namen Gott
ihm eingegeben hat, auf daß die Allgemeinheit darüber urteile.«
»Ehrenwerter
primicerius.«
Tassilo, Führer der kaiserlichen Partei und einer der Spitzel Lothars, meldete sich umgehend zu Wort. »Ein Name empfiehlt
sich von selbst und steht über allen anderen. Ich rede von Anastasius, Bischof von Castellum, Sohn des erlauchten Arsenius.
Alle Eigenschaften dieses Mannes, ja, sein ganzes Wesen empfehlen ihn für den Thron – seine edle Herkunft, seine außergewöhnliche
Gelehrsamkeit, seine unbestreitbare Frömmigkeit. Mit Anastasius werden wir einen Verteidiger nicht nur unseres christlichen
Glaubens bekommen, sondern auch unseres materiellen Wohlstands.«
»Deines
Wohlstands, willst du wohl sagen!« rief eine spöttische Stimme aus der Menge. Gelächter erhob sich.
»Ganz und gar nicht!« rief Tassilo zurück. »Anastasius’ |435| Großzügigkeit und sein großes Herz werden ihn zu einem wahren Vater für euch alle machen!«
»Er ist der Mann des Kaisers!« meldete der Zwischenrufer sich wieder zu Wort. »Wir wollen kein Werkzeug des fränkischen Kaisers
als Papst!«
»Das stimmt!« –»Jawohl!« –»Da hast du recht!« Mehrere andere Zuhörer stimmten dem ersten Rufer stürmisch zu.
Anastasius stieg auf die Plattform. In einer dramatischen Geste hob er die Arme, um die Menge zu beruhigen. »Römer!« rief
er. »Ihr schätzt mich falsch ein. Der Stolz und die Ehre meiner edlen römischen Ahnen fließen so kräftig in meinen Adern wie
in den euren. Niemals beuge ich das Knie vor einem fränkischen Herrn!«
»Hört, hört!« jubelten seine Anhänger begeistert.
»Wo war Lothar denn, als die Ungläubigen vor unseren Toren standen?« fuhr Anastasius fort. »Statt uns in der Not zu Hilfe
zu eilen, hat er das Recht verwirkt, sich ›Beschützer der Länder des heiligen Petrus‹ zu nennen! Weil Lothar von herausragendem
Rang ist, schulde ich ihm Achtung; weil er ein christlicher Mitbruder ist, schulde ich ihm Höflichkeit, doch meine Lehnstreue
gilt immer und zuerst der Mutter Rom!«
Er hatte gut gesprochen. Wieder jubelten seine Anhänger, und diesmal fielen andere aus der Menge ein. Die Flutwelle der Meinung
hob sich zugunsten Anastasius’.
»Das ist eine Lüge!« rief Johanna. Überall um sie herum wandten die Leute ihr verdutzt die Gesichter zu.
»Wer hat das gesagt?« Paschal ließ den Blick über die Menge schweifen. »Wer diese Klage vorgebracht hat – er möge vortreten!«
Johanna zögerte. Sie hatte die Worte gerufen, ohne groß darüber nachzudenken; Anastasius’ Heuchelei hatte ihren Zorn entflammt.
Nun aber gab es kein Zurück mehr. Tapfer stieg Johanna auf die Plattform.
»He, das ist Johannes Anglicus!« rief jemand. Ein Murmeln des Erkennens durchlief die Menge nach diesen Worten; jeder hatte
schon von Johannas Gebet auf den Mauern der Stadt gehört, als die Sarazenen Rom angegriffen hatten und die Lage aussichtslos
erschienen war.
Anastasius trat ihr in den Weg. »Ihr habt nicht das Recht, Euch an diese Versammlung zu wenden«, sagte er. »Ihr seid kein
römischer Bürger.«
|436| »Laßt ihn reden!« rief eine Stimme. Andere nahmen den Ruf auf, bis Anastasius schließlich gezwungen war, zur Seite zu treten.
»Sprecht Eure Anschuldigung offen aus, Johannes Anglicus«, verlangte Paschal.
Johanna straffte die Schultern und sagte: »Bischof Anastasius hat ein Abkommen mit dem Kaiser getroffen. Durch Zufall habe
ich
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