Die Päpstin
ich’s mit ins Bett nehmen?«
Gerold lachte. »Na, das werden wir schon noch sehen. Aber zuerst …«, er hielt Dhuoda fest, denn sie wollte bereits vorauslaufen
und den Hügel hinauf zu den Stallungen rennen, »… zuerst bringst du Johanna zum Haus. Ihre Hand ist verletzt. Jemand muß sich
darum kümmern.«
»Ihre Hand? Zeig mal«, verlangte Dhuoda, worauf Johanna mit einem reumütigen Lächeln die Hand ausstreckte.
»Oooaaah!« Vor Entsetzen und Faszination riß Dhuoda die Augen auf, als sie die Wunde betrachtete. »Wie ist das denn passiert?«
»Das kann Johanna dir auf dem Rückweg erzählen«, sagte Gerold ungeduldig. Der Anblick der Wunde gefiel ihm nicht; je eher
sich jemand darum kümmerte, desto besser. »Beeil dich jetzt und tu, was ich dir gesagt habe.«
»Ja, Vater.« Dhuoda wandte sich mitfühlend an Johanna. »Tut es
sehr
weh?«
|142| »Nicht so schlimm, als daß ich nicht vor dir am Tor sein könnte!« sagte Johanna und stürmte los.
Dhuoda kreischte vor Freude und flitzte hinter ihr her. Lachend rannten die beiden Mädchen den Hügel bis zur Burganlage hinauf.
Gerold beobachtete sie mit einem Lächeln, doch in seinen Augen lag ein sorgenvoller Ausdruck.
Der Winter kam ins Land und prägte sich Johanna unauslöschlich ein, denn sie wurde zur Frau. Sie war jetzt dreizehn und hätte
damit rechnen müssen; dennoch war sie überrascht vom plötzlichen Anblick des dunkelbraunen, eingetrockneten Blutflecks auf
ihrem Unterkleid und dem Leinenumhang sowie vom krampfartigen, ziehenden Schmerz im Unterleib. Johanna wußte sofort, was es
war – sie hatte ihre Mutter und die Frauen in Gerolds Haushalt oft genug darüber reden hören, und sie hatte gesehen, wie sie
jeden Monat ihre Leinenbinden auswuschen. Johanna sprach mit einer Dienerin, die sich sofort aufmachte, einen Stapel sauberer
Binden aus Leinen zu holen, und die Johanna dabei wissend zuzwinkerte.
Johanna war die Sache zuwider. Nicht der Schmerz und die Umstände, die es mit sich brachte, sondern die Vorstellung, was mit
ihr geschah. Sie fühlte sich ohnehin vom eigenen Körper verraten; er schien sich jetzt beinahe von Woche zu Woche umzuformen
und neue, ungewohnte Konturen anzunehmen. Als die Jungen auf der Domschule immer öfter zotige Bemerkungen über ihre sprießenden
Brüste machten, schnürte Johanna sie mit einem Streifen Stoff fest zusammen. Es war eine schmerzhafte Angelegenheit, doch
die Wirkung war die Sache wert. Solange Johanna zurückdenken konnte, war ihr Geschlecht die Quelle ihres Leides und ihrer
Verzweiflung gewesen, und sie war entschlossen, sich so lange wie möglich gegen diese aufkeimenden sichtbaren Beweise ihrer
Weiblichkeit zur Wehr zu setzen.
Der Wintarmanoth brachte klirrenden Frost, der das Land wie eine erbarmungslose Faust gepackt hielt. Es war so kalt, daß einem
beim bloßen Atmen die Zähne schmerzten. Wölfe und andere Raubtiere kamen aus den Wäldern hervor und strichen näher um den
Ort herum als je zuvor; ohne zwingenden Grund wagten sich nur wenige Bewohner Dorstadts ins Freie.
|143| Gerold drängte Johanna, vorerst auf den Besuch der Domschule zu verzichten, doch sie ließ sich nicht davon abbringen. Jeden
Morgen, den Sonntag ausgenommen, zog sie ihren dicken wollenen Umhang an und gürtete ihn zum Schutz gegen den Wind fest um
die Taille; dann schlug sie die Kapuze hoch und ging die fünf Kilometer bis zum Dom in der Ortsmitte Dorstadts. Als die heftigen,
frostigen Winde des Hornung kamen, des Februar, und die Kälte in eisigen Böen über die Straßen jagte, ließ Gerold jeden Tag
ein Pferd satteln, brachte Johanna morgens zur
scola
und holte sie am Nachmittag wieder ab.
Wenngleich Johanna ihren Bruder jeden Tag in der Domschule sah, redete er kein Wort mehr mit ihr. Mit seinen Studien ging
es immer noch jämmerlich langsam voran, doch Johannes’ Geschick im Umgang mit dem Schwert und dem Speer hatte ihm die Achtung
der anderen Jungen eingebracht, und in ihrer Gesellschaft blühte er sichtlich auf. Johannes wollte sein neugewonnenes Zugehörigkeitsgefühl
nicht dadurch gefährden, indem er sich zu einer Schwester bekannte, die eine Belastung und Peinlichkeit darstellte. Er ging
ihr aus dem Weg und wandte sich ab, wann immer sie sich näherte.
Auch die Mädchen im Ort hielten Abstand zu ihr. Sie betrachteten Johanna mit Argwohn, beteiligten sie nicht an ihren Spielen
und erzählten ihr nicht den neuesten Klatsch und Tratsch. Sie war eine
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