Die Päpstin
einem so
jungen und kleinen Persönchen! Der bloße Gedanke, daß Richild bei der Arbeit an den Wandteppichen Johannas Hilfe in Anspruch
nehmen könnte, war absurd. Mehr als einmal hatte Richild sich wegen Johannas Unbeholfenheit mit der Nadel bei ihrem Mann beklagt;
Gerold selbst hatte die verzweifelten Bemühungen des Mädchens beobachtet, ihre widerspenstigen Finger zum Gehorsam zu zwingen,
und er hatte die kläglichen Ergebnisse ihrer Bemühungen gesehen.
»Nun sei nicht gleich beleidigt«, sagte er. »Wenn du’s auf der Welt zu etwas bringen möchtest, mußt du mehr Geduld mit deinen
Nächsten aufbringen.«
Sie warf ihm einen schrägen Blick zu und überdachte, was er gesagt hatte; dann legte sie den Kopf in den Nacken und lachte.
Es war ein wundervolles Geräusch – melodisch, volltönend, |138| durch und durch ansteckend. Gerold war wie verzaubert. Das Mädchen konnte dickköpfig und leicht reizbar sein; aber sie hatte
ein warmes Herz und einen gesunden Humor.
Sanft legte Gerold die Hand unter Johannas Kinn. »Ich wollte nicht grob zu dir sein«, sagte er. »Aber manchmal überraschst
du mich einfach zu sehr. Was bestimmte Dinge angeht, bist du so klug – und so dumm, was andere Dinge betrifft.«
Sie setzte zu einer Erwiderung an, doch Gerold legte ihr einen Finger auf die Lippen. »Ich weiß die Antwort auf deine Frage
auch nicht. Aber ich weiß, daß die Frage als solche gefährlich ist. Viele Leute würden einen solchen Gedanken als Ketzerei
betrachten. Weißt du, was das bedeutet, Johanna?«
Sie nickte ernst. »Das ist eine Beleidigung Gottes.«
»Ja. Ja, das stimmt. Aber es ist noch mehr als das. Es könnte das Ende deiner Hoffnungen bedeuten, Johanna. Das Ende deiner
Zukunft. Sogar das Ende deines Lebens. Ich … habe so etwas einmal erlebt.«
Da. Er hatte es gesagt. Die graugrünen Augen betrachteten ihn so fest und vertrauensvoll wie zuvor; nur lag jetzt ein fragender
Ausdruck darin. Nun gab es kein Zurück mehr. Nun mußte er ihr alles erzählen.
»Vor vier Wintern wurde eine Gruppe Reisender zu Tode gesteinigt. Nicht weit von hier, auf den Feldern, die an den Dom angrenzen.
Zwei Männer, eine Frau und ein Junge, der nicht viel älter war, als du es jetzt bist.«
Gerold war ein gestählter Soldat, ein Veteran der Feldzüge des Kaisers gegen die barbarischen Abodriten im Osten, doch bei
der Erinnerung an diese vier Menschen überlief ihn eine Gänsehaut. Der Tod, selbst der schrecklichste Tod, konnte für Gerold
keine Überraschungen mehr parat haben. Doch als er damals bei der Steinigung zuschaute, hatte er sich vor sich selbst geschämt.
Die beiden Männer waren unbewaffnet gewesen, und die anderen … Sie alle waren einen qualvollen Tod gestorben. Die Frau und
der Junge hatten am längsten leiden müssen, da die Männer versucht hatten, sie mit ihren Körpern abzuschirmen.
»Gesteinigt?« Johannas Augen wurden groß. »Aber warum?«
»Sie waren Langobarden, Mitglieder der Sekte des Sabellus. Sie waren unterwegs nach Aachen und hatten das Pech, durch diese
Gegend zu kommen, kurz nachdem ein Hagelschauer die Weinberge verwüstet hatte. Es dauerte nicht einmal eine |139| Stunde, und die gesamte Ernte war vernichtet. In solchen Zeiten suchen die Leute nach den Ursachen für ihr Unglück, nach einem
Sündenbock. Als sie sich damals nach Schuldigen umgeschaut haben, da sahen sie diese Reisenden … Fremde, und noch dazu von
zweifelhafter Gesinnung.
Tempestarii
, so hat man sie genannt. Man beschuldigte sie, den Hagelschauer durch einen Zauber bewirkt zu haben. Fulgentius hat versucht,
die Leute zu verteidigen. Doch sie wurden verhört, und man befand ihre Gedanken als ketzerisch. Gedanken, Johanna«, er schaute
sie mit ruhigem Blick an, »die nicht allzuweit von der Frage entfernt sind, die du heute Odo gestellt hast.«
Johanna schwieg und schaute mit leerem Blick in die Ferne. Auch Gerold sagte nichts; er ließ dem Mädchen Zeit, das Gehörte
in sich aufzunehmen.
»Aeskulapius hat einmal etwas Ähnliches zu mir gesagt«, murmelte Johanna schließlich. »Daß manche Ideen gefährlich sind.«
»Dann war er ein kluger Mann.«
»Ja.« Der Ausdruck in ihren Augen wurde weich, als sie an ihren alten Lehrer zurückdachte. »Ich werde vorsichtiger sein.«
»Gut.«
»Ja.« Sie schaute ihn an. »Dann sag es mir jetzt: Woher
wissen
wir denn nun, daß die Geschichte von der Auferstehung stimmt, wo niemand dabei war?«
Gerold lachte hilflos. »Du«,
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