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Die Päpstin

Titel: Die Päpstin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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heftig dagegen protestiert. Er will persönlich dafür sorgen, daß die Jagd gar nicht erst stattfindet. Ein weißer
     Wolf ist ein heiliges Tier, hat er gesagt. Eine lebendige Manifestation der Auferstehung Christi.«
    Skeptisch hob Gerold die Augenbrauen.
    Johanna fuhr fort: »Die Jungen eines weißen Wolfes werden tot geboren, hat Odo gesagt. Der Vater muß die Kleinen binnen dreier
     Tage zum Leben erwecken, indem er sie ableckt. Es ist ein so seltenes und heiliges Wunder, sagte Odo, daß kein Mensch es je
     gesehen hat.«
    »Und was hast du dazu gesagt?« fragte Gerold. Er kannte Johanna inzwischen gut genug, um zu wissen, wann sie sich zu Wort
     gemeldet hatte und wann nicht.
    |136| »Ich habe ihn gefragt, wie man von diesem Wunder wissen kann, wenn es noch nie jemand gesehen hat.«
    Gerold lachte laut auf. »Ich gehe jede Wette ein, daß unserem braven Schulmeister diese Frage ganz und gar nicht gefallen
     hat.«
    »Stimmt. Sie ist nicht statthaft, hat er gesagt. Und unlogisch noch dazu. Denn obwohl kein Mensch die Auferstehung Christi
     mit eigenen Augen gesehen hat, zweifelt niemand daran, daß sie stattgefunden hat.«
    Gerold legte Johanna die Hand auf die Schulter. »Mach dir nichts daraus, Kind.«
    Für kurze Zeit trat Stille ein, so, als würde Johanna abwägen, ob sie noch irgend etwas sagen sollte oder nicht. Schließlich
     schaute sie Gerold forschend an, und auf ihrem jungen Gesicht lag ein Ausdruck von tiefem Ernst. »Wie
können
wir uns denn sicher sein, daß die Auferstehung sich tatsächlich ereignet hat? Wo doch niemand sie beobachtet hat?«
    Vor Schreck fuhr Gerold so heftig zusammen, daß er an den Zügeln riß. Der Fuchs tänzelte erschrocken. Gerold legte ihm die
     Hand auf die rostbraune Flanke, um ihn zu beruhigen.
    Wie die meisten Adeligen in diesem nördlichen Teil des Kaiserreiches – Männer, die während der Regierungszeit des alten Kaisers
     Karl, der an bestimmten überkommenen Bräuchen festgehalten hatte, zu erwachsenen Männern geworden waren – war Gerold nur im
     weitesten Sinne ein Christ. Er besuchte die Messe, gab Almosen und achtete auf die Einhaltung der Sonntage, der kirchlichen
     Feste und der christlichen Gebräuche. Er befolgte jene Lehren der Kirchendoktrin, die ihm bei der Ausübung seiner herrschaftlichen
     Rechte und Pflichten nicht ins Gehege kamen; die übrigen aber beachtete er gar nicht erst.
    Doch Gerold verstand den Lauf der Dinge, und er erkannte eine Gefahr, wenn er sie vor sich hatte.
    »Du hast diese Frage doch nicht etwa Odo gestellt?«
    »Doch. Warum nicht?«
    »Um Himmels willen!« Das konnte Ärger geben. Gerold mochte Odo nicht, diesen kleinen, engstirnigen und intoleranten Mann.
     Und eine solche Frage hätte Odo genau jene Art von Waffe in die Hand gegeben, die er brauchte, um Bischof Fulgentius in Verlegenheit
     zu bringen und Johannas Verweis von der Domschule zu erzwingen. Oder – Gerold konnte den bloßen Gedanken nicht ertragen –
     sogar noch Schlimmeres.
    |137| »Was hat er gesagt?«
    »Er hat mir keine Antwort gegeben. Er war sehr wütend und … er hat mich ermahnt.« Sie errötete.
    Gerold stieß erleichtert den Atem aus. »Was hast du denn erwartet? Du bist alt genug, um zu wissen, daß es bestimmte Fragen
     gibt, die man nicht stellen darf.«
    »Warum nicht?« Johannas große graugrüne Augen, die so viel tiefer und klüger blicken konnten als die anderer Kinder, waren
     forschend auf ihn gerichtet.
Die Augen einer Heidin
, ging es Gerold durch den Kopf.
Augen, die dieses Mädchen weder vor Gott noch vor irgendeinem Menschen niederschlagen würde.
Was mochten diese Augen alles gesehen haben, daß sie so ernst und wissend geworden waren? Der Gedanke ängstigte ihn.
    »Warum nicht?« fragte Johanna noch einmal.
    »Weil … manche Fragen … stellt man einfach nicht. Deshalb.« Ihre Beharrlichkeit ärgerte ihn und brachte ihn aus dem Konzept.
     Manchmal war die Intelligenz des Mädchens, die ihre körperliche Entwicklung in so unglaublichem Maße übertraf, geradezu beängstigend.
    Für einen Moment flackerte irgend etwas – Schmerz? Oder war es Zorn? – in ihren Augen auf; dann verbarg sie das Gefühl in
     ihrem Innern. »Ich sollte wieder ins Haus gehen. Die Wandteppiche für die Wohnhalle sind bald fertig, und deine Frau kann
     vielleicht meine Hilfe gebrauchen.« Mit hoch erhobenem Kopf wandte sie sich zum Gehen.
    Gerolds Zorn verrauchte so rasch, daß er vor Belustigung beinahe laut aufgelacht hätte. So viel verletzte Würde in

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