Die Papiermacherin
in den Steppen und Gebirgen der westlichen Länder hatte diese Art, sich zu kleiden, ihre Vorteile. Das Obergewand reichte bis zu den Knien und war unten durch die langjährige Beanspruchung ausgefranst. Darunter trug sie eine weite Hose, und das alles hielt eine Hanfkordel einigermaßen zusammen.
Ein Stück ihres alten Gewandes diente ihr als Kopftuch, auch wenn es nur wenig gegen den schneidenden kalten Wind half, der immer wieder über das Land fegte.
Gleichwohl verbarg diese Kleidung ihre weiblichen Reize nicht so gut, dass sie vor den Nachstellungen der Männer und dem Hass der Frauen im Lager völlig sicher sein konnte.
Toruk riss sein leicht gebogenes Schwert aus der Scheide. Er spießte damit den Kopf des Toten auf und wandte sich an Li.
»Du hast geschickte Hände, Papiermacherin.«
»So geschickt, wie es mein Handwerk erfordert«, erwiderte Li vorsichtig.
»Kannst du kochen?«
»Meine Kinder müssten gewiss nicht hungern – wenn sie schon geboren wären!«
Li hielt den Blick gesenkt, beobachtete dabei aber gleichzeitig jede Bewegung ihres Gegenübers und jede Veränderung seiner Gesichtszüge. Wenn Toruk so auftrat wie im Moment, war er zu allem fähig und vollkommen unberechenbar. Die Tanguten mussten ihm und seinen Männern übel mitgespielt und viele Krieger getötet haben. Was genau geschehen war, darüber konnte Li nur spekulieren. Aber es fügte sich eines zum anderen. Zu dem Trupp, der vor einigen Tagen aufgebrochen war, um sich mit ihnen zu treffen, hatten mehr als doppelt so viele Krieger gehört. Dass nur so wenige ins Lager zurückkehrten, ließ Li nicht gleich darauf schließen, dass die anderen einen grausamen Tod gefunden hatten, denn oft genug teilte sich ein solcher Reitertrupp bei der Rückkehr zum Lager in verschiedene Gruppen auf. Das geschah wohl, um eventuelle Verfolger zu verwirren. Aber diesmal war die ganze Schar der Überlebenden gemeinsam zurückgekehrt. Blanke, unstillbare Wut leuchtete aus Toruks Augen.
Er schleuderte den Kopf des Steuereintreibers in Lis Richtung. Sie bewegte sich nicht. Nur ein paar Schritte von ihr entfernt fiel der Kopf auf den Boden und rollte ihr noch ein Stück entgegen, bis er schließlich eine Handbreit vor ihrem linken Fuß liegen blieb.
»Hier, das ist für dich!«, rief Toruk. »Ihr Han-Leute zerkleinert das Essen doch, bevor ihr es gart, und esst es dann in kleinen Stücken, als wärt ihr zahnlose Greise!«
»Man spart Brennstoff und verträgt es besser«, erwiderte Li. Am liebsten hätte sie ihm zornig entgegengeschleudert, dass ihr die Art, in der die Uiguren aßen, sehr der von Tieren zu ähneln schien, aber sie konnte sich beherrschen. Die Worte ihres Vaters hallten in ihrem Kopf. Sie fühlte dessen angstvollen Blick auf sich gerichtet, aber sie wagte es nicht, sich zu ihm umzudrehen. Schon deswegen nicht, um ihn nicht zu gefährden, denn wer konnte ahnen, ob Toruk dies nicht zum Anlass für irgendeine sinnlose Grausamkeit nahm.
Anfangs hatte Li geglaubt, dass Toruk dabei eine gewisse Grenze einhalten werde. Schließlich mochte er ein Barbar sein, doch er war zweifellos auch ein Händler, der darauf achtete, dass sich seine Kriegsbeute gewinnbringend verkaufen ließ.
Aber wenn der Jähzorn ihn im Griff hatte, schien ihm das völlig gleichgültig zu sein. Er erinnerte dann an ein wütendes Kind, das sein eigenes Spielzeug zerschlug. Nur dass Toruk unter Umständen einfach sein Schwert nahm, um jemandem den Kopf abzuschlagen – allein um zu zeigen, wer hier das Sagen hatte.
»Du wirst mit deinen zarten Händen das Fleisch von diesem Schädel kratzen und es so zerkleinern, wie ihr Han-Leute das mögt! Dann mischst du es in das Essen, das man euch gibt, Papiermacherin!« Er wandte sich an die anderen. »Es soll jeder von euch daran erinnert werden, was mit ihm geschieht, wenn er oder die Seinen versuchen, Toruk hereinzulegen!« Für ein paar Augenblicke wagte es niemand, auch nur heftig zu atmen. Die Strenge stand etwas abseits und sah dem Geschehen zu. Ein wenig schien selbst sie angesichts dessen zu schaudern, was Toruk von Li verlangte.
Toruk drehte sich langsam wieder zu Li herum. »Na los, worauf wartest du, Papiermacherin? Deine Leute haben Hunger!«
Li blickte auf. Eigentlich hatte man ihr beigebracht, dies nicht zu tun. Man starrte nicht direkt in das Gesicht eines anderen Menschen, das geboten der Respekt und die Höflichkeit. Und wenn eine Frau dies tat, konnte es sogar als anzüglich angesehen werden. Aber in diesem
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