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Die Papiermacherin

Titel: Die Papiermacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Conny Walden
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zu Gero und fragte sich, wann wohl der richtige Moment war, um den Jungen in den eigentlichen Sinn dieser Reise einzuweihen, damit er die entsprechende Vorsicht walten lassen konnte und die Mission nicht unwissentlich in Gefahr brachte.
    Spätestens wenn wir das Reich des östlichen Kaisers hinter uns gelassen haben, muss er wissen, worum es wirklich geht!, ging es dem Ritter durch den Kopf.
     

Viertes Kapitel

Steppenwind
     
     
     
    »He, mach schneller!«, rief die gedrungene, faltige Frau mit den giftigen Augen.
    Obwohl Li nun schon viele Wochen im Lager von Toruks Leuten lebte, hatte sie den Namen dieser Frau noch nicht herausfinden können, die in der Gruppe offenbar eine wichtige Rolle spielte.
    Sie war die Witwe eines früheren Anführers und genoss nach wie vor höchsten Respekt. Allerdings sprach niemand sie mit dem Namen an. Alle nannten sie untereinander nur »die Strenge«. Einige der jüngeren Frauen hatten geradezu Angst vor ihr. Erst recht galt das für die Gefangenen. Die Strenge schien es zu genießen, sie zu schikanieren. Dass sie die niedrigsten Arbeiten erledigen mussten, hatte Li erwartet. Etwas anderes wäre ihr auch gar nicht in den Sinn gekommen. Sie und die anderen Verschleppten konnten froh sein, dass man sie einigermaßen mit Nahrung versorgte, auch wenn es sich dabei zumeist um Abfälle und Überreste handelte. Vieles war kaum noch genießbar. Davon abgesehen vertrugen Li und die anderen Angehörigen des Han-Volks unter den Gefangenen die Milch und den Käse schlecht, die bei Toruks Leuten einen Hauptbestandteil der Nahrung ausmachten. Ungefähr die Hälfte der Gefangenen war daher krank und wand sich in Bauchkrämpfen, während die andere Hälfte sich gerade von der Käsekrankheit erholte.
    Aber es schien unmöglich, diesem Gift auszuweichen, denn in Toruks Stamm war es offenbar Sitte, nahezu alle anderen Speisen damit zu vermischen. Der Stamm hielt neben Schafen und Ziegen etliche Rinder, und alles, was an Essbarem durch diese Tiere zu gewinnen war, wurde auch verwertet.
    Oft genug mussten die Gefangenen beim Beaufsichtigen der Tiere mithelfen. Dass sie dabei vielleicht fliehen könnten, kam den Nomaden wohl gar nicht in den Sinn – in der Tat hätten die schnellen Reiter die Flüchtlinge selbst unter ungünstigsten Umständen innerhalb von wenigen Stunden wieder einfangen können. Und die Strafen, mit denen zu rechnen war, waren mit Sicherheit schlimmer als alles, was es ansonsten bei ihnen zu erdulden gab.
    Li befand sich mit einem Bündel von zusammengeklaubtem Brennholz am Rand des Lagers, als die Strenge sie anfuhr.
    »Na los, worauf wartest du, hässliche Pflanze!«
    Hässliche Pflanze – das war der Name, den die Strenge ihr gegeben hatte. Sie benutzte für jeden der Gefangenen einen wenig schmeichelhaften Namen und erwartete auch, dass der Betreffende darauf hörte. »Denkst du, dass ich erst Feuer haben will, wenn der nächste Frühling kommt? Oder muss ich dich vorher verprügeln?«
    Li hatte es sich längst abgewöhnt, diesen Äußerungen allzu viel Bedeutung zuzumessen. Glücklicherweise war die Strenge zu alt, um ihren Drohungen Taten folgen zu lassen, denn sie hinkte und hatte augenscheinlich weit weniger Kraft in ihrem Körper als in ihrer Stimme. Und wenn sie die jungen Männer ihres Stammes anwies, die Gefangenen für sie zu schlagen, war denen das peinlich. Ehre konnte man so nicht gewinnen und mit entsprechend geringem Enthusiasmus waren sie dann bei der Sache. Jedenfalls war bei ihnen nichts von dem schier grenzenlosen Hass zu spüren, der die Strenge erfüllte.
    Li fragte sich, woher dieser Hass wohl genau rührte – ein Hass, der insbesondere den Angehörigen des Han-Volks zu gelten schien, denn die behandelte sie besonders schlecht.
    Von einer tibetischen Magd, die Toruks Leuten auf irgendeinem Raubzug in die Hände gefallen war und seitdem der Strengen diente, erfuhr Li dann, dass deren Eltern durch chinesische Soldaten getötet worden waren. Sie hatte das als kleines Mädchen von kaum fünf Jahren mit ansehen müssen.
    »Die Strenge spricht mit dir über solche Dinge?«, wunderte sich Li, nachdem die Magd ihr dies erzählt hatte. Göng war ihr Name, und sie hing der Lehre Buddhas an, die sie alles ertragen ließ, was ihr zugemutet wurde. Zumindest erklärte sie das so.
    »Sie spricht nur mit mir über solche Dinge, denn von mir fühlt sie sich nicht bedroht.«
    »Ich bedrohe sie auch nicht!«
    »Oh doch. In dir und deinesgleichen sieht sie die Soldaten

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