Die Papiermacherin
des Kaisers aus dem Reich der Mitte, die ihre Eltern getötet haben.«
An diese Unterhaltung musste Li denken, während sie der zornigen Strengen gegenüberstand, die sie ansah, als wäre sie eine Ausgeburt des Bösen.
Ein Trupp von Reitern lenkte nun die Aufmerksamkeit aller auf sich – auch der Strengen. Es waren Toruk und etwa zwanzig Krieger.
Im Lauf der letzten Wochen hatten die Uiguren immer wieder das Lager abgebrochen und waren dann einige Meilen weiter westwärts gezogen.
Manchmal ritten Toruk und seine Männer mit Gefangenen fort, um sich an vorher vereinbarten Stellen zu einem Austausch gegen Lösegeld zu treffen. Von solchen Ritten kehrten die Reiter in jedem Fall ohne ihre Gefangenen zurück, ganz gleich, wie das Treffen vonstatten gegangen war.
War genug Silber bezahlt worden, sah man das bereits an den prall gefüllten Leinensäcken, die an ihren Sätteln hingen. Wenn hingegen die andere Seite nicht genug hatte aufbringen können oder den Versuch unternahm, die Uiguren in eine Falle zu locken, kehrten die Männer mit blutigen Schwertern zurück.
Zur Abschreckung brachte Toruk diesmal einen blutdurchtränkten Jutesack ins Lager mit. Er ließ alle Gefangenen zusammenrufen und rollte den Inhalt des Beutels vor sie auf den Boden hin.
Li erkannte das Gesicht gleich wieder.
Es gehörte einem ranghohen Tanguten, der in ihrer Heimatstadt für den Herrn von Xi Xia die Steuern eingetrieben hatte. Seine Familie genoss dieses Privileg schon, als noch die Kaiser des Mittleren Reichs über Xi Xia herrschten. Ein über Generationen angehäufter, schier unermesslicher Reichtum war die Folge, und da Toruk sehr wohl wusste, was sie da für einen Fang gemacht hatten, war die Lösegeldforderung sicher entsprechend hoch. Warum auch nicht? Selbst wenn die Uiguren die Familie des unglücklichen Steuereintreibers all ihres beweglichen Reichtums beraubt hatten, war doch davon auszugehen, dass der Herr von Xi Xia ihr für die Auslösung eines treuen Dieners ein Darlehen gewährte, was diesen dann umso fester an seine Herrschaft binden würde.
Aber anscheinend war es anders gekommen.
Toruk stellte sich breitbeinig vor die Gefangenen und deutete auf den Kopf des Steuereintreibers. »Wer immer den Gedanken daran hegen sollte, mich hereinzulegen oder von hier zu fliehen, dem wird es nicht anders ergehen als dieser unglücklichen Seele hier, die auf ewig verflucht sei!« Er spuckte in Richtung des Schädels aus. »An welche Götter oder Ahnen ihr auch immer eure Bitten richtet – betet zu ihnen, dass es euren Familien nicht einfallen soll, auch nur eine einzige Silbermünze zu sparen! Jeder, der es versucht, wird das bitter bereuen.« Er ließ den Blick über die völlig eingeschüchterte Schar schweifen. Dann deutete er auf Li.
»Du da!«
Li stand wie angewurzelt und fühlte, wie ihr der Puls bis zum Hals schlug. Seit ihrer Gefangennahme hatte sie zugesehen, sich von Toruk fernzuhalten, denn es war ihr nicht entgangen, wie gewalttätig er schon gegenüber seinen eigenen Frauen werden konnte – wie viel mehr hatte dann eine rechtlose Gefangene zu befürchten, die darüber hinaus noch dem verhassten Han-Volk angehörte. Zwar bewunderte man die Erfindungsgabe der Han, ihr Herrschaftswille war jedoch bis weit in die westlichen Steppen hinein ebenso gefürchtet wie die Grausamkeit ihrer Kaiser.
»Papiermacherin!«, rief er und stellte damit noch einmal unmissverständlich klar, wen er meinte. »Tritt vor!«
»Was willst du von meiner Tochter?«, mischte sich Wang ein, der ebenso wie Gao in ihrer Nähe stand.
»Du schweigst, alter Mann!«, gab Toruk schroff zurück. Dann winkte er mit einer energischen Bewegung.
Wang wechselte einen Blick mit seiner Tochter, der seine Sorge verriet. »Wir sind ihnen ausgeliefert, also tu, was immer von dir verlangt wird«, murmelte er und benutzte die Sprache des Han-Volks, in der Hoffnung, dass Toruk seine Worte dadurch nicht so gut mitbekam, obwohl der Uigure zweifellos auch hier Grundkenntnisse besaß.
Li trat vor.
Die Kleider, in denen man sie verschleppt hatte, waren längst zerschlissen – ein paar Fetzen, die einzig dazu taugten, dass man Papierbrei daraus machte. Inzwischen trug sie die sackartigen, praktischen Gewänder der Uigurenfrauen – allerdings nur solche Stücke, die andere abgelegt hatten und die schon so oft geflickt waren, dass sie fast ausschließlich aus Flicken zu bestehen schienen. Lumpen, gemessen an dem, was sie gewöhnt war. Aber für das raue Leben
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