Die Papiermacherin
Zeichen des Himmels, dass sich für uns doch noch alles zum Guten wendet!«
Der Großteil der hiesigen Bevölkerung hatte sich um den Drachenschädel versammelt, und ein Schreiber verzeichnete auf einem Pergament die Namen aller Anwesenden, die bereit waren zu bestätigen, dass sie erstens den Drachenschädel gesehen hatten und zweitens Zeuge geworden waren, wie man ihn zu einem weißen Pulver zerkleinerte.
Zwei kräftige Männer machten sich bereits mit großen Feilen daran, den Schädel zu bearbeiten.
»Es würde mich nicht wundern, wenn sie das Drachenknochenpulver mit zerriebenen Steinen oder Wüstensand vermischen würden«, mutmaßte Gao. »Und am Ende wird man sich wundern, wie viel Pulver ein einziger Drachenschädel ergibt, dem sogar noch der Unterkiefer fehlt!«
»Ein einziger Zahn davon ist mehr wert als die Arbeitskraft von drei Papiermachern wie uns«, meinte Meister Wang.
Li fiel auf, dass Bruder Anastasius sich bekreuzigte, eine Geste, die sie schon verschiedentlich bei ihm und anderen Christen bemerkt hatte.
»Die Schlange ist das Zeichen des Teufels«, stieß er hervor. »Ein Beweis dafür, dass der ewige Widersacher Gottes existiert.«
»Aber diese Schlange muss vor langer Zeit gestorben sein«, gab Li zu bedenken. »Sollte jemand wie Ihr sie nicht als Beweis dafür ansehen, dass der Widersacher Gottes irgendwann besiegt worden ist?«
»Der Herr gibt dem Gläubigen so mancherlei Rätsel auf, um ihn zu prüfen«, sagte Bruder Anastasius. »Aber auch Jesus Christus begegnete dem Widersacher in der Wüste und erlag nicht seiner Versuchung …«
Seltsam, wie der gleiche Knochen den einen das Zeichen des Glücks und den anderen das Symbol des schlimmsten Übels sein konnte. Aber für diejenigen, die das Knochenpulver als Mittel gegen Verdauungsprobleme, Kinderlosigkeit und den Tod an sich verkaufen würden, war der Drache ganz sicher für eine Weile das Zeichen unerwarteten Wohlstands.
In der Stadt des Drachenkopfs blieben sie nicht lange. Abgesehen von den Legenden, die schon jetzt durch die staubigen Gassen zwischen den wenigen festen Steinhäusern drangen und mit immer erstaunlicheren Details ausgeschmückt wurden, gab es auch sehr beunruhigende Gerüchte. Li verstand nicht alles. Nur dass von einem Reich des Schwarzen Herrschers die Rede war, dem Kara Khan. Und davon, dass dessen Krieger sich in alle Richtungen ausbreiteten und die Wege unsicher machten.
Kurz nachdem die Karawane wieder aufgebrochen war, hörte Li sogar Babrak den Feilscher mit einem seiner Männer über den Kara Khan reden. Auch hier verstand Li nicht alles, aber sie erfasste den Tonfall, und der ließ einen furchtsamen Respekt erahnen. Eigentlich war Furcht ein Wesenszug, den Li mit Babrak bestimmt nicht in Verbindung gebracht hätte. Aber wenn der Karawanenführer die Nachrichten über den Schwarzen Herrscher bereits so zur Kenntnis nahm, musste man das wohl ernst nehmen.
»Habt Ihr schon einmal von einem Herrscher gehört, der Kara Khan genannt wird?«, fragte Li irgendwann während des weiteren Wegs Bruder Anastasius, nachdem sie schon eine ganze Weile griechische und lateinische Wörter geübt hatten.
Li hatte diesen Satz auf Latein gebildet. Vielleicht fehlte es ihr an jener Perfektion und dem Stilempfinden, wie sie den Gelehrten des Westens eigen sein mochten – aber sie sah Bruder Anastasius’ Gesicht an, dass er sie verstanden hatte.
Und so antwortete der Mönch in derselben Sprache. Allerdings musste er seinen Satz dreimal wiederholen und am Ende noch einige Wörter ins Persische übersetzen, bevor Li begriff, was er ihr sagen wollte. »Als ich vor drei Jahren den Weg in die entgegengesetzte Richtung wanderte und nach Samarkand kam, da hatte der Kara Khan gerade das goldene Buchara erobert, die Hauptstadt von Chorasan. In Samarkand sammelten sich die Truppen, um die Krieger des Kara Khan zurückzuschlagen, was auch gelang. Und zwar noch bevor ich weiterzog.« Bruder Anastasius schüttelte den Kopf. »Sie müssen starke Krieger sein, denn die Samaniden-Herrscher von Chorasan sind die Herren des unzerbrechlichen Stahls! Aber die Krieger des Schwarzen Herrschers sind offenbar so zahlreich, dass sie auch mit überlegenen Waffen nur schwer zu besiegen sind …«
»Ist der Kara Khan ein Muslim oder ein Anhänger Buddhas oder Manis?«
»Er ist Muslim, genau wie die Herren von Chorasan. Aber unter den Muslimen ist es wie unter den Christen – sie sind sich gegenseitig die schlimmsten Feinde.«
Schließlich
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