Die Papiermacherin
erreichten sie eine Stadt namens Khotan, die deutlich größer war als alle Orte, in denen sie in den letzten Wochen Rast eingelegt hatten. Im Süden ragten schneebedeckte, wuchtige Berge auf.
In Khotan wurde Babraks Talent auf eine harte Probe gestellt. Der Zoll, den er für den Durchzug durch das Gebiet des Khans von Khotan abführen sollte, war anscheinend außerordentlich hoch. Li bekam einiges von den lautstark geführten Verhandlungen mit. Die Beamten des Khans ließen nicht mit sich handeln – und wieder spielte der Schwarze Herrscher dabei eine Rolle. Offenbar waren auch die Krieger Khotans von ihm angegriffen worden und hatten alle Mühe, ihr Gebiet gegen ihn zu verteidigen.
Angeblich hatte man sogar Gesandte nach Bian geschickt, die das uralte Bündnis zwischen Khotan und dem Reich der Mitte erneuern sollten, um die Truppen des Schwarzen Herrschers abzuwehren. Aber bislang war keiner von diesen Gesandten zurückgekehrt.
Babrak blieb keine andere Wahl, als zu bezahlen, was von ihm gefordert wurde. Seine Laune war entsprechend schlecht.
Zwei Tage blieb die Karawane in Khotan. Ein Kamel lahmte, und Babrak kaufte ein neues dazu.
Die ganze Stadt war von großer Nervosität erfüllt. Auf dem Markt lagen die Preise für Nahrungsmittel aller Art so hoch, wie es Li nie zuvor erlebt hatte. Etliche Karawanen erreichten mit erheblicher Verspätung die Stadt. Außerdem waren offenbar derzeit wichtige Gebirgspässe nach Süden, über die man in das Land zwischen Indus und Ganges gelangen konnte, nicht passierbar. Wertvolle Gewürze kamen aus der Heimat des großen Buddha nach Khotan, von wo aus sie sowohl nach Osten als auch nach Westen weiterverkauft wurden und dabei ihren Wert noch einmal um ein Vielfaches steigerten. Doch wenn die Pässe nicht passierbar waren, blieben die Gewürzhändler aus und mit ihnen das Silber, das sich beim Handel mit Safran oder Pfeffer verdienen ließ.
Aber überall in den engen Gassen der Stadt und auf Basaren unter freiem Himmel wurde von arabischen Pferden über Teppiche aus Persien bis zu Porzellan und Seide aus den Werkstätten im Reich der Mitte alles angeboten, was man sich nur vorstellen konnte.
Natürlich hatte Li keine Möglichkeit, sich dort auf eigene Faust umzusehen. Zusammen mit Gao und ihrem Vater zog sie im Gefolge von Babrak durch die Straßen, als sie auf dem Weg zu einer der Karawansereien waren, und später noch einmal beim Verlassen der Stadt, die Li wie ein einziger großer Basar erschien. Eine Mischung der seltsamsten Düfte drang Li in die Nase. Gerüche von Gewürzen und Essenzen, die sie kannte, aber niemals in dieser Intensität wahrgenommen hatte. Weihrauch aus Arabien wurde hier verkauft, und es gab Aromen, deren Namen nie bis Xi Xia gelangt waren. Und all das wurde durchdrungen von den Sorgen, die sich die Basaris offenbar über die Ausbreitung jenes Reichs machten, das Kara Khan beherrschte.
»Es sind gute Muslime, warum sollten wir uns vor ihnen fürchten!«, hörte Li einen der Händler sagen, woraufhin ein anderer erwiderte: »Du hast gut reden! Aber die meisten Bewohner Khotans glauben an die Lehre des Buddha!«
Ein paar Tage später saßen sie am Feuer, und Li lauschte den Reden von Babrak dem Feilscher. Wahrscheinlich ahnte er nicht einmal, wie gut Li inzwischen seine Sprache verstand. »Man sagt, dass der Vorgänger des Kara Khan von Korangelehrten eine Fatwa erstellen ließ, mit der nachträglich der Mord an seinem Vater gerechtfertigt wurde – denn der war noch ein Heide und glaubte nicht an Allah!«, berichtete Babrak. »Das zeigt, was für einer Brut dieser Schwarze Herrscher entstammt! Der kennt keine Verwandten, und wenn er sagt, dass es ihm um den Glauben geht, dann lügt er! In Wahrheit geht es ihm nur um sich selbst und seine Macht!«
»Da sind christliche Herrscher sicher ganz anders!«, spottete einer der anderen Männer am Feuer. Diese Bemerkung war natürlich auf Bruder Anastasius gemünzt, der sich allerdings nicht provozieren ließ.
»Ich wünschte, ich könnte so etwas guten Gewissens behaupten«, gab er zurück. Und wirkte dabei sehr ernsthaft. Diese Ernsthaftigkeit übertrug sich auch auf die anderen. »Eigentlich sagt unser Herr, dass wir unsere Feinde lieben sollen. Das höchste Gebot ist es, den Frieden zu erhalten.«
»Wie kommt es aber, dass man die Christen überall genauso Krieg führen sieht wie die Anhänger Mohammeds, Buddhas oder Manis?«, fragte Babrak. »Ich habe nicht den Eindruck, dass christliche
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