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Die Papiermacherin

Titel: Die Papiermacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Conny Walden
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Hufeisen zu erneuern gab, war dies die erste Anlaufstelle.
    Der Schmied hieß Kebir und war ein Riese. Ein Mann mit dunklem Bart und sehr dichten Augenbrauen. Dass er mit seinen Bärenkräften den Schmiedehammer zur Not auch einhändig schwang, glaubte man ihm sofort. Aber von ihm stammte der mit Abstand feinste Draht, den man in Samarkand bekommen konnte – was eigentlich nicht verwunderlich war, denn das Drahtziehen verlangte mindestens ebenso große körperliche Kräfte wie der Umgang mit Hammer und Amboss. Ein sehr dünn geschmiedetes Stück Metall wurde durch ein sich verjüngendes Loch in einem Ziehstein oder einem Zieheisen gezogen, wobei immer wieder ein Stück der äußeren Schicht abgeschält wurde. Allerdings begann die Kunst des Drahtziehens bei der Zusammensetzung der Anteile in der verwendeten Legierung, denn falls diese missglückte, brach der Draht bereits, wenn er auf die Winde gewickelt wurde.
    Aus den dickeren Drähten bog man die ineinandergreifenden Ringe von Kettenhemden. Aber das Metall, das Li für ihre Wasserzeichen brauchte, musste noch sehr viel feiner sein. Je dünner und leichter biegsam, desto besser.
    Als sie zusammen mit dem Palastwächter bei Kebir eintraf, war dieser gerade damit beschäftigt, ein Pferd zu beschlagen, das ein Eisen verloren hatte und lahmte. Der riesenhafte Schmied nahm den Huf des Pferdes auf seinen Schenkel und schlug den letzten Nagel ein, dann war er fertig.
    Das Pferd gehörte einem Mann mit halblangen Haaren, einem offenbar während der Reise gewachsenen Bart und grünen Augen, die Li an die Steppe im Frühling erinnerten. Um das Lederwams trug er einen breiten Gürtel, an dem ein Schwert und ein Dolch hingen. Den wollenen Umhang hatte er zurückgeworfen, und sein Helm war von einer Machart, die Li noch nie bei einem Krieger gesehen hatte.
    Zwei Begleiter reisten mit ihm – ein Jüngling und ein Mann in einer Kutte, wie Li sie von Bruder Anastasius und anderen christlichen Mönchen kannte.
    Der fremde Reiter wechselte mit dem Mönch ein paar Worte in einer Sprache, von der Li rein gar nichts verstand. Sie klang dem Dialekt der Nordmänner ähnlich, den Thorkild und sein Gefolge untereinander benutzt hatten. Und doch hatte Li das Gefühl, es müsse eine andere, vielleicht verwandte Sprache sein.
    Ein einziges Wort verstand sie.
    »Arnulf!«
    So redete der Mönch den Mann mit den grünen Augen an. Der Klang dieses Wortes hallte dutzendfach in Lis Gedanken wider. Arnulf! Dies musste jener Ritter sein, vor dessen Erscheinen der Hofschreiber Kentikian Thorkild Eisenbringer gewarnt hatte.
    Jetzt meldete sich Kebir zu Wort. »Das Pferd wird Euch weitere tausend Meilen den Weg der Seide entlangtragen«, meinte er. »Es ist alles in Ordnung damit …«
    Der Mönch verstand offenbar Persisch. Er übersetzte die Worte des Schmieds in die fremde Sprache, und wieder redete er den Ritter dabei mit Arnulf an. Li war sich jetzt vollkommen sicher – vor allem deshalb, weil der Mönch diesen Namen sehr ähnlich wie Thorkild Eisenbringer aussprach. Und wenn tatsächlich in der Heimat des Eisenbringers und jenem geheimnisvollen Saxland, aus dem Arnulf kam, verwandte Dialekte gesprochen wurden, dann wusste Thorkild auch genau, wie man diesen Namen richtig über die Lippen brachte.
    Arnulf bemerkte den allzu intensiven Blick, den Li ihm zugeworfen hatte, und erwiderte ihn mit einer Offenheit, die nach Lis Empfinden schon beinahe die Grenze zur Schamlosigkeit überschritt – zumindest nach jenen Maßstäben, wie sie im Reich der Mitte üblich waren. Ihnen gemäß war auch Li erzogen worden. Aber sie hatte natürlich längst erfahren, dass in dieser Hinsicht unter den Menschen des Westens andere Auffassungen galten. Das kannte sie bereits von den durchreisenden Händlern in Xi Xia.
    Der Mönch war ein blassgesichtiger hagerer Mann, und sein Äußeres erinnerte Li ein bisschen an einen Leichnam, der mit entsprechenden Essenzen einbalsamiert wurde, um ihn vor der Verwesung zu bewahren. In Xi Xia waren solche Bräuche nicht unbekannt, und Li fiel wieder ein, wie erschrocken sie war, als sie zum ersten Mal eine solche Mumie sah. Damals war ein tangutischer Befehlshaber, den ein paar Tage zuvor der Schlag getroffen hatte, auf diese Weise aufbereitet und durch die Stadt getragen worden. Das Gesicht des Mönchs rief ihr jenen Anblick in Erinnerung. Ihm schien die menschliche Wärme, die etwa aus dem Antlitz von Bruder Anastasius leuchtete, vollkommen zu fehlen. Der Blick der grauen,

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