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Die Papiermacherin

Titel: Die Papiermacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Conny Walden
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daran an, dass es so viele verderbte Schriften gibt!«
    »Verderbte Schriften? Ich dachte, all diese Schriften wären dazu da, die Lehre des Propheten zu erhellen«, wunderte sich Li.
    »Worin der eine die Erhellung erkennt, ist für den anderen die tiefste Finsternis«, erwiderte Mohammed. »Wir dürfen alle von Glück sagen, dass Prinz Ismail die Ansichten seines Hofschreibers nicht teilt. Sonst würde man uns über kurz oder lang zum Shaitan jagen, und wir müssten sehen, wo wir bleiben!« Mohammed atmete tief durch. »Ich rate zur Vorsicht mit jedem Wort, das ihr gegenüber Kentikian äußert … Eines Tages könnte man es euch wie eine Würgeschlange um den Hals legen!«
    Ein paar Tage später besuchte Hofschreiber Kentikian tatsächlich die Werkstatt und nahm die Arbeiten der neuen Papiermacher in Augenschein – darunter auch die Blätter mit dem Wasserzeichen, die Li angefertigt hatte. Wortreich erläuterte Meister Mohammed dem Beamten die Vorteile, die dieses Verfahren bot, um bei Dokumenten die Gefahr einer Fälschung von vornherein zu verringern. Der geckenhafte Mann mit dem auffälligen Burnus und der breiten Zierschärpe gab durch nichts zu erkennen, was er von dieser Sache hielt, und es war ihm auch kein Hinweis zu entlocken, ob er gegenüber dem Statthalter davon überhaupt ein Wort verlieren würde. Er nahm alles, was ihm gesagt und gezeigt wurde, lediglich stumm zur Kenntnis und ließ einen seiner Begleiter einen der Bogen mit dem Wasserzeichen der Rose mitnehmen.
    »Der Statthalter hegt den Wunsch, dass in nächster Zeit einige Buchabschriften für seinen persönlichen Gebrauch mit besonderer Ausstattung angefertigt werden«, erklärte Kentikian dann gedehnt und auf eine Weise, die ganz unverhohlen deutlich machte, dass er selbst dieses Vorhaben nicht guthieß, sich aber dem Willen seines Herrn beugte. »Dafür werden einige Papiere von besonderer Qualität gebraucht … Möglicherweise werden wir sie aus dieser Werkstatt beziehen.« Er bedachte zunächst Meister Wang und anschließend Li mit einem nachdenklichen Blick, während ein zufriedenes Lächeln seine Lippen umspielte. »Anscheinend hat Thorkild Eisenbringer nicht übertrieben, als er dem Statthalter eure Dienste anpries …«
    Als der Hofschreiber gegangen war, wandte sich Li an Mohammed. »Ich habe Kentikian mit dem Waräger, der uns geraubt und hierher verkauft hat, Griechisch reden hören«, sagte sie.
    »Das überrascht mich nicht«, sagte Mohammed. »Aber was diesen Thorkild angeht, so ist das der Mann, für dessen Wohlergehen wir alle beten sollten, wenngleich er ein Ungläubiger ist.«
    »Weshalb?«
    »Weil ein steter Strom von Eisenbarren in den hohen Norden geht, und dafür fließt Silber zurück, wovon das meiste in den Taschen von Männern wie Prinz Ismail verschwindet. Was glaubst du, wie es kommt, dass man es sich hier leisten kann, so viele Schreiber, Buchbinder und Papiermacher mit etwas zu beschäftigen, das niemanden satt macht! Mit Büchern nämlich!«
    »Dieser Thorkild hat vermutlich unsere Künste in den höchsten Tönen angepriesen, ohne dass er sie auch nur im Entferntesten zu beurteilen wusste«, fuhr Li fort. »Was wäre geschehen, wenn wir unwürdige Aufschneider gewesen wären?«
    Mohammed lächelte breit. »Dich, deinen Vater und seinen Gesellen hätte es den Kopf gekostet, so viel ist sicher.«
    »Und Thorkild?«
    »Gar nichts. Erstens ist er wahrscheinlich einer der wenigen, der sich so etwas gegenüber dem Statthalter erlauben könnte, und zweitens sagt man den Nordmännern ja auch im Krieg eine besondere Todesverachtung nach.«
    »Aber dies ist kein Krieg, sondern ein Handel gewesen.«
    »Das ist für Männer wie Thorkild dasselbe«, sagte Mohammed.
    Die Tage vergingen und sammelten sich zu Wochen. Fünfmal an jedem Tag ruhte die Arbeit in der Werkstatt, denn diese Zeiten waren dem Gebet vorbehalten. Und genauso ruhte die Arbeit an jedem Freitag, wenn die Gläubigen zum Gebet in die Moschee gerufen wurden. Die Feiertage und die Gebete gaben dem Leben in der Stadt einen Rhythmus, den Li als überraschend angenehm empfand. Der Gedanke, dass es Zeiten oder sogar ganze Tage gab, die allein Gott gewidmet werden durften und jeden gläubigen Menschen aus seinen Geschäften und Verpflichtungen herausrissen, einte Christen, Juden, Muslime und Manichäer, wie Li wusste. Für die Nestorianer in Xi Xia war nicht der Freitag, sondern der Sonntag heilig, aber der Grundsatz, dass sechs Tage der Arbeit, aber einer dem

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