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Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Titel: Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Bauer
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Mir war das sehr unangenehm. Sven auch. Wir saßen in seinem kleinen Zimmer auf dem Bett, denn einen Tisch gab es nicht, und ich schrieb einige Vokabeln auf ein Blatt Papier. Ich sagte: »Ist doch ganz einfach.« Sven sagte: »Ist es nicht.« Er schnaufte und nach einer Weile fragte er: »Soll ich dir meine Videospiele zeigen?« Sven hatte viele Videospiele und er beherrschte sie alle. Er schoss Raumschiffe vom Himmel. Er trat Angreifer in die Flucht. Er lenkte Formel-1-Boliden. Er war nicht mehr der unbeholfene Junge aus der letzten Reihe, er war ein Champion, ein Held, ein Alleskönner, schnell und geschickt, er hatte alles unter Kontrolle und schnaufte nicht mehr. Nach zwei Stunden kam seine Stiefmutter ins Zimmer, gab Sven einen Klaps auf den Hinterkopf und fragte mich: »Und, haste aus Svennie jetzt ein Genie gemacht?« Sie lachte, Sven lachte auch und drückte noch ein paarmal auf die Knöpfe seines Joysticks. Ich ging nach Hause und habe danach nie wieder Nachhilfe gegeben.
    Unter Svens alter Telefonnummer meldet sich eine krächzende Stimme: »Wer issn da?« Es ist die Stimme von Svens Stiefmutter. Ich erkläre umständlich, dass ich mit Sven zur Schule gegangen bin, dass ich nun alle Mitschüler von damals wiedertreffen will, und frage, ob es wohl möglich wäre, dass sie mir die aktuelle Nummer von Sven gibt oder mir sagt, wo ich ihn finden kann. »Dit is sogar ganz einfach möglich«, unterbricht mich die Stiefmutter, »ick hol ihn einfach aus seinem Zimmer und du fragst ihn selbst.« Im Hintergrund ist ein Klopfen zu hören. »Wat denn«, ruft es dumpf. »Da ist jemand für dich am Telefon!« »Wer denn?« »Keine Ahnung, hat viel erzählt, aber nüscht jesagt!« Dann nimmt Sven den Hörer. Seine Stimme hat sich nicht verändert, sie war schon immer so tief, zwischen den wenigen Worten, die er spricht: das vertraute Schnaufen. Ich sage Sven, dass ich ihn gerne treffen möchte. »Na jut, wenn du meinst, dass ick interessant bin, gerne, kann ja nicht schaden.« Aber erinnern, sagt Sven, könne er sich nicht, an gar nichts. »Ick weiß nicht, wer du bist. Ick weiß nüscht mehr von damals, dit is mir auch egal!« Ich frage, wo wir uns denn treffen sollen, wo er wohne. »Na hier«, sagt Sven, »Zuhause halt!« Sven ist zwei Jahre älter als ich, also heute 29. Ich frage lieber nicht, warum er noch zuhause wohnt. Er gibt die Antwort von alleine: »Ick kann mir gerade keine eigene Wohnung leisten, ick bin auf der Suche nach nem neuen Job.« Ich solle einfach demnächst vorbeikommen, sagt Sven. Sven war einfach zu erreichen, weil ihn seine Arbeitslosigkeit offenbar in der Wohnung des Vaters gefangen hält. Am Telefon sagt er: »Ick könnte natürlich an den Stadtrand ziehen, da sind die Mieten noch billig, aber ick will hierbleiben, in unserem Kiez, dit verstehste, oder?«
    Noch bevor ich weiß, wie sehr sich meine Mitschüler verändert haben, weiß ich sicher: Ihre Heimat hat sich verändert. Unser Kiez ist schöner geworden. Auf den ersten Blick. Er ist nach meinem Geschmack schöner geworden. Beim Kiosk an der Ecke gibt es jetzt Bier und Zeitungen aus München, was angenehm ist, weil Berliner Bier und Zeitungen nicht konkurrenzfähig sind. Für Ahmed und seine Familie war in dieser schönen neuen Welt kein Platz mehr. Oder: Sie konnten sich einen Platz in dieser Umgebung nicht mehr leisten. Sie wurden wegsaniert. Ich bin mir nicht sicher, ob sich Ahmed in seinem Kiez, den er früher mit dem viel zu kleinen BMX-Rad durchfuhr und in dem er jeden Hinterhof kannte, überhaupt noch wohl fühlen würde. Ich könnte ihn fragen.
    Wenn er denn endlich an sein blödes Handy gehen würde.

3.
    Frau Schach macht weiter
    Weil ich von Ahmed noch immer nichts gehört habe und auch die anderen Mitschüler nicht erreiche, beschließe ich, die Reise in die Vergangenheit dort zu beginnen, wo alles begann. An der Schule. Wenn sich der Bezirk so stark gewandelt hat, kann auch die Blücher-Grundschule nicht mehr die alte sein.
    Zunächst kommt mir jedoch alles sehr bekannt vor. Das Eingangstor haben wir damals im Rahmen eines »Projekttages« rot gestrichen, es ist noch immer rot, an der Wand daneben sind die bunten Abdrücke unserer winzigen Hände zu erkennen. Und auch hinter dem Tor hat sich nichts verändert, die große Pause klingt, wie sie schon immer geklungen hat: ein gleichmäßiges Kreischen im Hintergrund, darüber das Klatschen des Fußballs gegen die Mauer, das Klick und Klack von der Tischtennisplatte, blecherne

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