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Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Titel: Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Bauer
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der Stadt gewechselt, das mit der fünften Klasse beginnt, sie war ihrer besten Freundin Anna gefolgt. Die beiden hatten wir nur das »Streber-Duo« genannt oder »Maxi« und »Mini«, weil Anna riesengroß war und Arzu sehr klein. »Arzu ist fast deutsch, so gut ist sie in allen Fächern«, stellte Ahmed fest. Ahmed kam auf die Realschule. »Viel Spaß auf deiner Kartoffelschule«, sagte er zum Abschied. Wir verabredeten uns noch gelegentlich zum Fußballspielen, aber Fußball wurde mit der Zeit unwichtiger. Jedenfalls für mich.
    Für die Hobbykicker im Fußballkäfig hinter ihm interessiert sich Ahmed am Tag unseres Wiedersehens auch nicht mehr. Diese verschwitzten Kartoffeln sehen nicht aus, als wollten sie etwas kaufen. »Ich muss langsam los«, sagt Ahmed und drückt wahllos auf seinem Handy herum.
    »Wir können uns ja mal auf einen Kaffee treffen, Ahmed.«
    »Ja, oder du kommst auf einen Tee vorbei.«
    Wir tauschen Telefonnummern aus, Ahmed erzählt, dass er von Kreuzberg nach Neukölln gezogen sei.
    »Ich bin verheiratet, ich habe ein Kind, ich wohne in keiner WG oder so, meine Frau kocht den Tee, wenn du zu Besuch kommst, man muss bei uns die Schuhe ausziehen und so, es ist alles ein bisschen anders bei mir«, sagt er.
    »Ach komm, ich werde mich schon benehmen«, sage ich, »du lebst ja nicht auf einem anderen Planeten.«
    Aber ich glaube, in diesem Moment sind wir uns da beide nicht sicher.
    Von Menschen, die in Kreisstädten in der Nähe irgendwelcher Seen oder Berge aufgewachsen sind –, und die erst in die berüchtigten Bezirke Berlins zogen, als sie nach billigem Wohnraum und großstädtischem Kitzel suchten –, werde ich oft bewundernd, besorgt oder mitleidig gefragt, wie das so war, in Kreuzberg und Neukölln aufzuwachsen, im Ghetto. Die Wahrheit ist: Ich hatte in meiner Kindheit und Jugend keine Probleme. Nur einmal wurde ich von einer Gruppe Gleichaltriger, offensichtlich »nichtdeutscher Herkunft«, mit einem kleinen, signalroten Plastiknothammer aus einem Linienbus bedroht, mit dem man im Falle eines Unfalls die Scheiben einschlagen soll. Mir wurde von den Jungs recht plausibel erläutert, dass man mit so einem Nothammer auch meine Schläfe einschlagen könne, daher rückte ich eine Mark und sechzig Pfennig sowie einige Fußballsammelbilder raus. Vielleicht ist es so: Ich hatte eine schöne Kindheit in einer zuweilen unschönen Umgebung. Ich sah auf meinem Schulweg Junkies in ihrem Erbrochenen liegen, wurde regelmäßig Zeuge von Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Halbstarkenbanden und machte immer einen weiten Bogen um den Neubaukomplex in der Nähe des berüchtigten U-Bahnhofs Kottbusser Tor, weil ein paar ältere Kinder berichtet hatten, dort besäße jeder Anwohner ein Butterfly-Messer. Ich wurde recht früh mit sozialen Realitäten konfrontiert. Aber ich fühlte mich sicher.
    Ahmeds Bruder Abdul glaubte mir bei unserer ersten Begegnung nicht, dass ich deutsch bin. »Quatsch, du siehst nur so aus«, sagte er, »du bist bestimmt ein Albaner, ja genau, ein muslimischer Albaner!« Vielleicht lag das daran, dass er einfach nicht wahrhaben wollte, dass sein Bruder freiwillig mit einer Kartoffel den Nachmittag verbrachte. Vielleicht habe ich mich damals aber auch ganz gut integriert. Ich konnte zum Beispiel auf Türkisch »Ich ficke deine Mutter« sagen, bevor ich überhaupt wusste, was »ficken« bedeutet. Wir sagten das ständig. Ich weiß gar nicht, wer damit angefangen hatte. Wir sagten es so vor uns hin.
    »Amana sikim, das sind zu viele Hausaufgaben!«
    Oder: »Natürlich wird Bayern Meister, amana sikim!«
    Oder auch: »Die Mädchen sind blöd, amana sikim!«
    Es hatte keine Bedeutung. Dachte ich. Bis mir der große Fatih während des Kunstunterrichts bei Herrn Bimmel in der vierten Klasse zehnmal seine Faust auf den Oberarm schlug. Ich war elf. Ich hatte mittlerweile eine vage Ahnung, was ficken bedeutet. Wir hatten herumgealbert und irgendwen nachgeäfft, und dann hatte ich es gesagt, mal wieder. Bloß: Diesmal hatte ich dabei dem großen Fatih ins Gesicht geschaut. Es spielte keine Rolle, dass seine Mutter gar nicht gemeint war, dass es nur eine Floskel war. Für Ironie interessierte sich der große Fatih nicht. Der große Fatih war ein wirklich lieber Junge im Körper eines ausgewachsenen Mannes. Eigentlich setzte er seine Kraft nie gegen uns ein, nicht mal gegen die Idioten aus der 4a. Er gab nur manchmal damit an, Coladosen mit der bloßen Hand zerquetschen zu können.

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