Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit
Münchner Bezirk Neuhausen-Nymphenburg, dem Gegenteil eines Problembezirks. Über den 9. Stadtbezirk schreibt die Stadt München: »Nach der Sozialstruktur dominiert in Neuhausen die Mittelschicht und in Nymphenburg die gehobene Mittelschicht. In beiden Stadtteilen überwiegt mittleres bis höheres Ausbildungsniveau.« Von den 87 846 Einwohnern haben lediglich 2 303 keinen Job. Die Sonne scheint über den Biergärten, es werden ausreichend Kinder geboren, die in angemessen teuren Kinderwägen an den schmuck sanierten Häusern vorbeigeschoben werden. Die Grünen erhielten bei den vergangenen Kommunalwahlen 20,1 Prozent der Wählerstimmen. Kurz: Den Menschen in Neuhausen-Nymphenburg geht es gut. 21,2 Prozent der Einwohner von Neuhausen-Nymphenburg sind Ausländer. In Neukölln ist der Anteil nichtdeutscher Bewohner nur unwesentlich höher, er liegt dort bei 21,8 Prozent. Neuhausen-Nymphenburg und Neukölln haben trotzdem so viel gemeinsam wie Franz Beckenbauer und ich auf der Libero-Position. Erstens: Viele der vermeintlichen Ausländer in Neukölln haben einen deutschen Pass, sind also der Statistik nach Inländer. Zweitens leben in Neuhausen-Nymphenburg vor allem solche Ausländer, die man in Deutschland gemeinhin nicht als ein Problem wahrnimmt: Japaner, Amerikaner, Franzosen, Spanier, Skandinavier. Wohlhabende, gebildete Ausländer. Dieser Gruppe, die im Einwohnermelderegister »Sonstige« genannt wird, gehören im Bezirk die meisten Ausländer an.
Warum das alles überhaupt wichtig ist? Mitten in der Sarrazin-Hysterie saß ich mit einem Bekannten in einer Kneipe. Dieser Bekannte lebt schon lange in Neuhausen-Nymphenburg, wir hatten uns in seiner Nachbarschaft auf ein Bier getroffen. Ich hatte die letzten vier Jahre in München verbracht und vergeblich versucht, mich in Bayern zu integrieren. Ich war froh, zurück nach Berlin zu ziehen, ich hatte eine schöne Wohnung zu einem noch schöneren Preis in einem schönen Teil von Neukölln gefunden.
»Neukölln«, wiederholte der Bekannte, der vor Jahren schon mal im Prenzlauer Berg war. Er schien schockiert zu sein. »Warte mal, bis ihr Kinder habt, dann willst du da nicht mehr wohnen, die kannst du da ja nicht zur Schule schicken!« Ich glaube, je weiter jemand von Neukölln entfernt wohnt, desto radikaler ist seine Meinung zu diesem Bezirk. Neukölln ist für Leute wie meinen Bekannten bloß ein Schlagwort auf der Startseite von SpiegelOnline, ein Hashtag bei Twitter, ein Schlüsselbegriff, bei dem sie sofort an Kriminalität, Sprachdefizite, arabische Großfamilien und Sozialbauten denken müssen und an diesen launischen SPD-Bezirksbürgermeister namens Buschkowsky, der so wunderbar ehrlich ist und dessen Konterfei nun sogar auf die T-Shirts eines hippen Modelabels gedruckt wird.
»Hast du das mit der Deutschenfeindlichkeit mitbekommen?«, fragte der Bekannte. Noch so ein »Phänomen«, das zu allem Überfluss durch die Schlagzeilen geisterte. Die überforderte CDU-Familienministerin Kristina Schröder hatte versucht, mit diesem Begriff Übersicht zu beweisen – und ein bisschen Populismus auszuprobieren. An manchen Schulen, erzählte die Perlenkettenträgerin aus Wiesbaden, die in Berlins Mitte residiert, würden deutsche Kinder wegen ihrer Herkunft drangsaliert. In der Presse war prompt zu lesen, deutsche Schüler würden vor allem in Neukölln auf dem Schulhof als »Schweinefleischfresser« beschimpft und die Mädchen hätten Angst, die Haare offen zu tragen, weil sie dann als »Schlampe« gelten würden. Wieder mal war vom »Ausländeranteil« die Rede. Gemeint war der Anteil ausländischer Kinder an solchen Schulen – aber man wurde das Gefühl nicht los, es gehe auch um den »Ausländeranteil« in Deutschland insgesamt. Der ist seit Jahren rückläufig, aber davon war nicht sehr oft die Rede. Es war einfach nicht die Zeit der besonnenen Stimmen: Also hörte auch kaum einer jenen Lehrern zu, die an betroffenen Berliner Schulen unterrichten, an denen der überwiegende Anteil der Schüler mittlerweile arabischer Herkunft ist. Diese Lehrer sagten: Es stimmt, es gibt hier Mobbing gegen deutsche Kinder. Dagegen muss vorgegangen werden. Es ist für die Kinder ein schmerzhafter Vorgang, aber einer, der so grausam wie erklärbar ist. Auf einer Grundschule in Oberammergau hätten es ein Mädchen mit Kopftuch und ein arabischer Junge ebenso schwer. Das Problem sind nicht Ausländer, die Deutsche hassen, sondern Schulen, an denen zu viele Kinder einer bestimmen Gruppe
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