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Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Titel: Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Bauer
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sagt er zur Begrüßung, »die Kartoffel ist zurück!« Abdul fragt, was wir gemacht haben. »Kuchen gegessen und einen Cuba Libre getrunken«, sage ich. Ahmed wirft mir einen strengen Blick zu. »Patrick hat einen Cuba Libre getrunken, das stimmt! Er ist heute ziemlich aufgeregt!« »Wo habt ihr euch denn wiedergetroffen nach so langer Zeit«, fragt Abdul. Ich will gerade von der Begegnung im Park erzählen, da sehe ich wieder Ahmeds strengen Blick. »Im Supermarkt«, sagt er. »Ja genau, im Supermarkt«, sage ich.
    »Spinnst du«, sagt Ahmed, als Abdul wieder gegangen ist, »mein Bruder rastet aus, wenn er hört, dass ich Leute im Park kenne und mitten am Tag Alkohol trinke. Das ist ein frommer Mensch!« Zwei Brüder, der eine schwach, der andere stark, mussten getrennt werden, damit sie keinen Ärger machten. In der Realschule besuchten sie dann gemeinsam eine Klasse. Es gab Ärger. Aber nachdem Abdul fast von der Schule geflogen war, weil er einen Jungen in einen großen Restmüllcontainer gehoben hatte, wurde er ruhiger. Ahmed wurde immer ungeduldiger. Es scheint, als müsse Abdul heute auf Ahmed aufpassen.
    »In der Realschule haben wir Sven wiedergetroffen«, sagt Ahmed, »dieses Opfer!« Ahmeds Gerede geht mir spätestens in diesem Moment auf die Nerven. Sein Gerede von einer Welt, in der »Opfer« ein Schimpfwort ist und man lieber Täter ist, als zu den Opfern zu gehören. Das Wimmern von Ahmeds Tochter aus dem Schlafzimmer erinnert mich daran, dass ich längst zuhause sein sollte. Meine Freundin wartet auf mich. Mein Leben hat sich an diesem Tag schlagartig verändert, und statt ihren Bauch zu bestaunen, der sich noch gar nicht verändert haben kann, sitze ich bei Ahmed.
    »Du musst gehen, oder?«, fragt er und es klingt, als würde er hoffen, dass es so ist. Es ist kein schönes Wiedersehen zwischen uns, es ist kein Wunder, dass es so lange gedauert hat, bis wir hier saßen. Es wird bloß deutlich, was wir beide ohnehin schon geahnt haben: Wir haben uns nichts zu sagen. Die Gemeinsamkeiten wurden mit jedem Jahr weniger. Oder: Mit jedem Schuljahr wurden die Unterschiede deutlicher. Wer weiß, ob wir Freunde geblieben wären, wenn Ahmed mit mir aufs Gymnasium gekommen wäre. Wir waren Freunde, weil wir viel Zeit miteinander verbringen mussten in stickigen Klassenräumen und sie uns gegenseitig gut vertreiben konnten. Ich bin froh, Ahmed kennen gelernt zu haben. Ich habe viel gelernt über das Leben, das seine Familie lebt. Ich habe viel mitgenommen aus der Zeit mit ihm. Ich habe bei ihm zuhause immer gemerkt, dass ich anders lebe. Das fand ich interessant. Ich kann mir aber vorstellen, dass dieselbe Erkenntnis für Ahmed frustrierend war.
    Zum Abschied sagt Ahmed, in den nächsten drei Jahren müssten sie umziehen, in einen der besseren Bezirke der Stadt. Bevor die Tochter in die Schule kommt. »Ich stecke die doch nicht hier auf so eine kaputte Schule mit all den Türken und Arabern. Eine Privatschule wäre geil!«
    Selbst Aylin hatte das gesagt, als wir vor ihrer Wohnungstür standen: Ihr Sohn solle auf keinen Fall auf die Schule neben dem Neubauklotz, in dem sie leben. »Da sind nur gestörte Ausländer«, hatte Aylin, die überzeugte Kreuzbergerin, gesagt.
    Auch Sibel, die um jeden Preis in ihrem Bezirk bleiben will, sagte: »Wir müssen uns was überlegen, wenn der Kleine in die Schule geht. Die Kinder hier haben keine Manieren!«
    Es ist paradox. Die gut situierten, überwiegend deutschen Eltern flüchten vor den Kindern von Ahmed, Aylin und Sibel, die zuhause mehr Türkisch als Deutsch sprechen. Und meine ehemaligen Mitschüler flüchten vor den trostlosen Schulen, die so entstehen. Offenbar will wirklich niemand mehr sein Kind in Kreuzberg oder Neukölln zur Schule schicken. Aber den meisten bleibt nichts anderes übrig.
    Ich sage Ahmed, dass ich seinen Plan absurd finde. Statt sich irgendwann für eine Privatschule zu verschulden, in einem Bezirk, in dem er sich so bald keine Wohnung wird leisten können, soll er sich doch lieber dafür engagieren, dass die Schulen bei ihm in der Nähe, in seiner so oft zitierten »Heimat«, ausreichend Unterstützung bekommen.
    »Würdest du dein Kind hier zur Schule schicken?«, fragt Ahmed trocken.
    »Ich denke schon«, sage ich.
    »Warte mal ab, bis es soweit ist«, sagt Ahmed, »jede Wette, Alter, dass du ins Kartoffelland fliehen wirst!«

11.
    Theorie und Praxis
    Seit der Geburt meines Sohnes verspüre ich ein Glück, das ich nicht kannte. Aber auch Sorgen,

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