Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit
existieren, aber die in Ugurs Alltag eine große Rolle spielen müssen. Die Autos der Jungs stehen währenddessen in zweiter Reihe vor dem Café, es sind glänzende Autos namhafter Hersteller, mit silbernen Felgen und getönten Scheiben. Autos sind hier wichtig. Jedes, das vorbeifährt, mustern die Jungs sehr genau. In jedem zweiten sitzt jemand, der ihnen zunickt. Wenn ein Auto besonders laut röhrt, nicken die Jungs anerkennend zurück. Das Café »Son Durak« ist eines dieser Lokale in Neukölln, die man im Vorbeigehen für einen Geldwäschebetrieb halten kann, weil die Dauergäste offenbar nichts zu tun haben außer ihre Zeit zu verspielen und trotzdem so gut zu verdienen scheinen, dass sie mehrere zehntausend Euro für ihre Autos ausgeben können, denen sie am Wochenende in der Waschstraße all ihre Liebe widmen. Es sind Lokale, die nicht einladend wirken, wenn man nicht eingeladen ist. Und man wird nicht eingeladen, wenn man nicht zu den Jungs gehört. Die Jungs vor dem Son Durak beachten mich jedoch nicht. Ahmed ist wohl mein Bürge. »Wahrscheinlich bist du der erste Deutsche im Son Durak«, sagt Ahmed, als wir das Café betreten, in dem dichter, süßer Rauch steht und die Automaten monoton vor sich hin dudeln, »ein historischer Moment, Alter!« Ahmed geht hinter die verwaiste Bar und mischt uns zwei Cuba Libre. »Die gehen aufs Haus! Ich habe Ugur schon genug Geld dagelassen!« Draußen scheint die Sonne. Und wir sitzen in einem abgedunkelten Spielcasino und trinken schlechten Rum mit abgestandener Cola. Ich sollte lieber nüchtern bleiben. Ich kann nicht betrunken nach Hause kommen. Nicht schon wieder. Nicht heute. Aber Alkohol scheint auch bei diesem Wiedersehen nötig zu sein, um Hemmungen fallen zu lassen, die es zu Grundschulzeiten nicht gab. Ahmed und ich sitzen inmitten des Blinkens und Dudelns und schauen uns etwas ratlos an. Früher saßen wir am Rand des Sandkastens und redeten drauflos, wir mussten über wenig nachdenken. Wir wussten nichts von der Welt und nichts von den Welten, die uns trennten. Heute denke ich so viel nach, dass ich nicht weiß, was ich sagen soll.
»Was arbeitest du denn?«, frage ich schließlich.
»Alles mögliche«, sagt Ahmed, »ich habe den Realschulabschluss gemacht. Dann war ich mal Komparse, habe gekellnert und mich als Modedesigner versucht mit einem Kumpel zusammen. Wir haben T-Shirts auf dem Flohmarkt verkauft. Ich habe danach an der Tankstelle gearbeitet und jetzt gerade plane ich mit einem anderen Kumpel zusammen, ein Café zu eröffnen. Ich war vorhin bei der Bank. Wir wollen Männern ein Wohnzimmer bieten, denen im eigenen Wohnzimmer langweilig ist. Es soll ein bisschen so werden wie das Son Durak. Nur mit einem Ende. Ich muss ja nach Hause, auf mich wartet jemand, auf Ugur nicht.« Ahmeds Café soll »Café Amaç« heißen, Amaç bedeutet: Ziel. Ahmed sagt, es sei an der Zeit, dass er etwas Dauerhaftes findet. Eine Frau hat er schon. Jetzt braucht er einen festen Job. Er habe sich gefragt, was er am liebsten mache, und am liebsten sei er eben im Café. Natürlich könnte er auch sofort im Son Durak arbeiten, »aber ich will was Eigenes, ich habe keinen Bock mehr auf Chefs und Arbeitslosengeld. Ich bin ein Macher. Ich habe viel auf die Beine gestellt in den letzten Jahren, auch wenn du mir das nicht glaubst.«
»Doch, doch«, sage ich.
»Lüg nicht«, sagt Ahmed, »ich weiß, was du denkst. Ich weiß doch, wo der Hase läuft in diesem Land.«
»Wie er läuft«, sage ich.
»Besserwisser«, sagt Ahmed und nimmt den letzten Schluck aus seinem Glas. Er ist der Lustige, ich der Besserwisser. Fast wie damals.
»Noch mal zu der Sache mit dem Park«, sagt Ahmed.
»Ich mache dir gar keinen Vorwurf«, sage ich.
»Lass mich ausreden! Du glaubst hoffentlich nicht, ich würde da Drogen verkaufen. Sehe ich aus wie ein Araber?«
Ahmed will es noch mal klarstellen: Ein Bekannter von ihm, ein Libanese, »was sonst«, sagt er, »aber der Einzige, der nicht krank im Kopf ist«, arbeitet im Park. Er besuche ihn ab und zu. »Ich kenne viele Leute. Kreuzberg und Neukölln, das sind meine Ecken von Berlin, meine Heimat, ich weiß, was hier läuft. Ich tue dies und tue das«, sagt Ahmed, der Junge, der schon immer mal dies und mal das erzählte.
»Deine Eltern wohnen auch nicht mehr in Kreuzberg«, sage ich.
»Du weißt ja alles über mich«, sagt Ahmed, »voll unheimlich!« Die Eltern sind an den Stadtrand gezogen, sagt er, in der Straße sei alles zu teuer geworden.
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