Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit
Jetzt haben sie einen kleinen Garten. Wenigstens einen kleinen Garten. Das sei ihr Happy End in diesem Land.
»Wie geht es deinen Eltern?«, frage ich.
»Normal«, sagt Ahmed und sein Blick verrät, dass er mit meiner Frage nichts anfangen kann, so wie er mit meinen Fragen noch nie etwas anfangen konnte, »meine Mutter kocht den ganzen Tag, ihre Hüfte macht Probleme, aber sonst geht’s ihr gut. Und mein Vater ist mein Vater, du kennst ihn. Er muss arbeiten. Jetzt ist er in Rente und arbeitet den ganzen Tag im Garten.« Ahmeds Vater ist kein Mann, den man fragt, wie es ihm geht.
»Und die Jungs hier«, frage ich, »womit verdienen die das Geld, mit dem sie ihre Autos bezahlen?«
Ahmed knallt sein leeres Glas auf den Tresen.
»Diese Fragen, Alter! Mein Vater sagt auch immer, das seien doch Kriminelle, Mafia. Ey, jeder Einzelne von den Jungs arbeitet verdammt hart für sein Geld. Hier gibt es einen Busfahrer, einen Maler, Geschäftsleute, und auch ein paar Typen, die man lieber nicht fragt, was sie letzte Nacht getan haben, aber alle sind sauber. Du gibst dein Geld für Bücher oder schwule Klamotten aus. Die geben ihr Geld für Autos aus.« Ahmed sagt, er besitze kein Auto. Aber auch die Jungs mit Auto seien keine Verbrecher.
Ein paar Häuserblocks entfernt vom Café Son Durak wurden wenige Monate zuvor in einer besonders dunklen Nacht 18 Schüsse abgefeuert. Es handelte sich vermutlich um eine Schießerei zwischen Angehörigen zweier verfeindeter arabischer Großfamilien. Einer der Verletzten, die von der Polizei gefunden wurden, war ein Libanese, der von Polizei und Medien »Mahmoud R.« getauft wurde, Berlins wohl bekanntester »Intensivtäter«, wie besonders notorische Kriminelle genannt werden. In über achtzig Fällen war gegen den jungen Mann, Ende zwanzig, schon ermittelt worden, meist wegen Körperverletzung. »Ich kann dir die Läden zeigen, wo solche Leute rumhängen«, sagt Ahmed, »aber wir sind nur langweilige Türken. Wir sind hier zuhause und haben keinen Bock auf asoziale Ausländer!«
Für Ahmed ist das Café Son Durak der einzige Ort, an dem er nicht gefragt wird, was er den ganzen Tag gemacht hat. Zuhause fragt das die Frau. Am Stadtrand im Gärtchen seiner Eltern fragt das der Vater. Im Amt fragt das der Beamte. »Für mich ist das Café Freiheit«, sagt Ahmed, »mir geht es gut. Ich mache jeden Tag was anderes. Mein Vater versteht nicht, dass ich ein anderes Leben leben will als er.«
Ahmeds Vater war nach Deutschland gekommen, weil ihm hier Arbeit geboten wurde. Ahmed ist in Deutschland auf der Suche nach Arbeit, die ihm etwas bietet. Mehr als nur Geld. »Ich will mich ausleben können«, sagt er, »mein Problem war immer, dass ich keine Geduld habe.« Im Unterricht wippte er mit dem Stuhl, bis er umkippte und auf den Rücken knallte. Fast jeden Tag knallte er auf den Rücken, stand wieder auf und gluckste. Er hasste es, zu lernen und er hasste es zu warten. »Ich hatte nicht mal Geduld, mir nach der Schule zu überlegen, was ich machen will. Ich habe einfach gemacht!« Ich frage Ahmed, ob er gerne studiert, gerne eine Ausbildung gemacht hätte, ob er verpassten Chancen nachtrauert. »Ach, Quatsch«, sagt er, »ich trauere nur Mädchen nach. Alter, du musst verstehen, dass es für mich nur zwei Möglichkeiten gab: Schuften ohne Ende oder Café ohne Ende. Verstehst du?« Ahmed konnte entweder das machen, was sein Vater gemacht hatte und von ihm erwartete. Oder das Gegenteil davon. »Türken gelten in diesem Land entweder als Arbeiter oder als Asoziale«, sagt Ahmed, »das nervt mich, Alter. Es gibt doch auch etwas dazwischen. Das hier, das Café Son Durak ist Deutschland, deutscher Alltag, Mann. Fang mir nicht mit der Integration an, ich bin integriert hier. Du bist im Café nicht integriert, ich bin nicht an der Uni integriert. So ist der Deal!«
Ich sage Ahmed, dass ich diesen Deal merkwürdig finde. Es sollte doch nicht nur etwas zwischen »Arbeitern« und »Asozialen« geben, sondern auch etwas darüber. »Bundeskanzler, oder was«, schreit Ahmed. »Von mir aus«, sage ich, »Arzt, Manager, Imker, Pilot, mir egal. Fatih ist doch auch Architekt, Arzu ist Lehrerin geworden.«
»Hör mir auf«, unterbricht mich Ahmed, »Ausnahmen bestätigen das Gesetz …«
»Ausnahmen bestätigen die …«
»Halt die Klappe«, sagt Ahmed, »ich weiß: die Regel!«
»Das Ding ist«, sagt er, »dass du deutsch werden musst, wenn du Karriere machen willst als Türke. Du musst deutsch reden, deutsch
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