Die Patchwork-Luege
als besiegelte es das Ende unserer schönsten Zeit. In den vergangenen vierzig Jahren hat sich das Heiratsalter kontinuierlich nach hinten verschoben. Frauen sind im Durchschnitt dreißig, wenn sie heiraten, Männer dreiunddreißig. »Für immer« hört sich nicht mehr wie einVersprechen an, es ist eine Drohung. Wir studieren später, ziehen später von zu Hause aus, weil es so viele Vorteile mit sich bringt, mit der Mutter unter einem Dach zu wohnen. Wir verdienen später das erste Geld, bekommen später Kinder.
Wir haben das Gefühl für die Zeit verloren – und damit auch für die Liebe.
Es waren einmal ein Junge und ein Mädchen, die schrieben einander zärtliche Briefe, in denen sie ihre Liebe beschworen, auf dass sie ein Leben lang halten möge. Die Zeit zog ins Land, die beiden wurden älter, und eines Tages wies das Mädchen den Jungen zurück. Sie schenkte ihr Herz einem anderen. Die Liebe des Jungen aber, der inzwischen ein Mann geworden war, brannte weiter. Nicht, dass er von diesem Augenblick an Frauen gemieden hätte, er suchte das körperliche Abenteuer. Die eine jedoch bewahrte er in seinem Herzen, einundfünfzig Jahre, neun Monate und vier Tage lang verzehrte er sich nach ihr. Bis sich erfüllte, wovon er träumte.
Diese Liebesgeschichte ist eine der schönsten, die je erzählt worden sind, sie stammt von Gabriel García Márquez und heißt Die Liebe in den Zeiten der Cholera . Eine Geschichte von Sehnsucht und Schmerz, Verzicht und Warten, Hoffen und Bangen. Am Ende steht die Erfüllung der Liebe. Eine Geschichte voller Romantik.
Die Idee der romantischen Liebe hat sich in unseren Köpfen festgesetzt. Von dieser Liebe verlangen wir, dass sie unsere Sinne betäubt, uns trunken macht vor Glück, verzaubert, elektrisiert. Wie ein Naturschauspiel soll sieüber uns hereinbrechen und uns die schicksalhafte Bestimmung füreinander vor Augen führen. Sie soll uns verwandeln, wie Monika Maron es in ihrem Roman Animal triste beschreibt: »Wir erkennen uns nicht wieder, wir sind schöner, sanfter, weiser. Wir sind erlöst von unserem Kleinmut und unserer Missgunst. Wir fühlen uns imstande, unserem ärgsten Feind zu vergeben. Jeden Baum, jede Straße, jede Minute überstrahlen wir mit unserem Glück und wundern uns über ihre bis dahin unentdeckte Schönheit. Wir fühlen uns eins mit dem Himmel, dem Regen, dem Wind. Wir sind endlich von dieser Welt und endlich gar nicht mehr von ihr.«
Niemand, der sich dagegen wehren könnte. Wir wollen den Rausch und die Liebe als amour passion , als Leidenschaft. Irgendwann, glauben wir, widerfährt uns das unerwartete und doch erwartete Wunder. Die Liebe darf nicht Prosa, sie muss Poesie sein. So malen wir sie uns aus.
Das verhielt sich einst ganz anders.
Ein Mann und eine Frau saßen in einer Höhle. Morgens brach der Mann auf zur Jagd, um mit dem Fleisch der erlegten Tiere seine Familie zu ernähren. Währenddessen sammelte die Frau Pflanzen, Beeren und Wurzeln und kümmerte sich um die Kinder. Jeder erfüllte eine Aufgabe, und das Zusammenleben gelang am besten, wenn alle Abläufe ineinandergriffen. Die Liebe zwischen Mann und Frau festigte ihre Bindung zugunsten der Überlebensfähigkeit ihrer Kinder, sie stellte sicher, dass der Nachwuchs auf eine Welt, in der überall Gefahren lauerten, optimal vorbereitet wurde. Um die notwendigen Techniken undTaktiken zu erlernen, brauchte es Vater und Mutter. Die Nachkommen waren ein gemeinsames Projekt, die Liebe hatte eine Funktion. Das ist ihre Urvorstellung.
Früher heirateten Menschen einander nicht, weil sie sich liebten, sie heirateten, um eine Produktionsgemeinschaft zu bilden. Das änderte sich im 18. Jahrhundert dramatisch. Es war die Zeit der Romantik, des Gefühls, es war die Zeit, in der die Liebe sich befreite. In seinem Ehebuch schrieb Daniel Defoe: »Ich sage, dass ich Ehe nicht für rechtmäßig halten kann, wo nicht eine herzliche, unverfälschte und befestigte Liebe stattgefunden, ehe die Heirat vollzogen wurde.« Dann kam Friedrich Schlegel, der in wilder Ehe mit Dorothea Veit lebte, und stellte das Konzept der Ehe völlig auf den Kopf. Er forderte in seinem Roman Lucinde die Einheit von Leidenschaft und Ehe. Beides, fand er, gehörte zueinander, wie Körper und Geist zueinandergehörten. Liebe hieß für ihn völlige Hingabe, die Verschmelzung zweier Menschen. Die wirtschaftliche Seite wischte Schlegel einfach fort. Das war revolutionär. In unserem heutigen Verständnis ist das dumm.
Das
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