Die Patchwork-Luege
zuliebe Opfer zu bringen.
Für Adorno, der sich zeitlebens mit der Liebeslehre Kierkegaards beschäftigte, lässt sich die Liebe nur durch den Rückzug des Menschen vom Diktat der Ökonomie befreien. Dafür müsste er mit seiner Liebe ganz bewusst in den Widerstand gehen. Nur derjenige, der die Kraft habe, an der Liebe festzuhalten, liebe wirklich.
Dass die Liebe oft ein Projekt ist, beweist die Tatsache, dass Menschen nach dem Arbeitsplatz und dem Freundeskreis am dritthäufigsten ihren Partner im Internet finden. Die Online-Datingbörsen handeln mit Gefühlen wie Trader mit Aktien. Man erstellt ein Profil von sich selbst, stellt ein Foto ins Netz, gibt sein Alter preis, Haarfarbe, Gewicht, Körpergröße, Lieblingsfilme und ob man die Berge der See vorzieht oder umgekehrt. Der Computer scannt anhand dieser Informationen die möglichen Partner, rechnetaus, wie viele Matchingpunkte einen mit welcher Person verbinden, und täuscht vor, auf diese Weise den perfekten Partner zu finden.
Das Verführerische dieses Systems ist, auch dann noch weiterzusuchen, wenn man schon jemanden gefunden hat – was viele tun, weil sie hoffen, dass noch etwas Besseres kommt.
Während wir vor dem Computer sitzen und uns von einem Profil zum nächsten klicken, verdrängen wir mit Erfolg, dass sich die Natur nicht austricksen lässt und es im Laufe der Evolution Jahrmillionen gekostet hat, Präferenzen auszubilden. Beim Finden der Liebe reagieren wir auf körperliche Reize, darauf, wie der andere riecht, geht, schaut, lacht.
Die Liebe folgt einer Dramaturgie: Man sieht sich, spricht miteinander, berührt einander, man schläft miteinander. Das war zumindest einmal das Verständnis von Liebe. Zum Wahrnehmen kommt etwas Entscheidendes hinzu: die Rede, das Gespräch; nicht das Chatten.
Frank Böckelmann attestiert allen digital gestifteten Liebschaften ein und dasselbe Manko. Ihnen fehlt die Gründungsgeschichte. »Es fehlt der Faktor des Ungeplanten und Unerwarteten, das die Zweisamkeit von der Wertung nach Idealmaßstäben befreit und auf das man sich in Krisenzeiten besinnt.« Das Zusammensein ist das Ergebnis technischer Machbarkeit einerseits und persönlichen Zeitmanagements andererseits. Es fehlt das Schicksalhafte, das plötzliche Erstarren im Moment der Begegnung, in der man nichts weiß über den Fremden und nicht ahnt, dasser sich in die eigene Gedankenwelt schleichen und das Leben verändern wird. Zum Guten oder Schlechten. Es hätte genauso gut irgendein anderer Partner gefunden werden können. Nur eine Begegnung, die so erzählt werden könne, als ob sie den beiden zugestoßen wäre, sage ihnen, wer sie seien.
Obwohl es noch nie so leicht war, einen Partner zu finden, war es noch nie so schwer, den richtigen fürs Leben zu finden. Anfang der sechziger Jahre ergänzten sich die Lebensentwürfe der Menschen ziemlich gut: ein Haus im Grünen, ein Kleinwagen, ein Mann, der arbeitet, eine Frau, die die Kinder erzieht und kocht. Die gesellschaftlichen und politischen Strukturen ließen einem allerdings auch keine große Wahl, was dem persönlichen Glück nicht gerade zuträglich war.
Jutta Allmendinger hat vor zwei Jahren junge Frauen und Männer zwischen zwanzig und dreißig zu ihren Lebensvorstellungen befragt und die Ergebnisse in einem schmalen Buch zusammengefasst. Unter der Kapitelüberschrift »Mann braucht Zeit, Frau das Aussehen – oder?« versammelt sie die Aussagen der Befragten bezüglich ihres Wunschpartners. Frauen ist am wichtigsten, dass der Mann sich Zeit für sie und die Familie nimmt. Sie legen Wert auf Erfolg und Bildung, sie selbst streben auch danach. Sein Aussehen ist den Frauen nicht gleichgültig, es ist für die Liebesbeziehung aber auch nicht ausschlaggebend.
Männern ist am wichtigsten, dass ihre Frau gut aussieht. Sie bevorzugen in der Regel Frauen, die wenigergebildet und jünger sind als sie. Im Gegensatz zu Frauen haben Männer kein Problem damit, »nach unten« zu heiraten. Der Familie zuliebe ihre Vollzeitstelle in eine Teilzeitstelle umzuwandeln, kommt für sie nicht in Frage. Bezeichnenderweise ergab die Auswertung der Umfrage, dass Vätern ihre Arbeit wichtiger war als kinderlosen Männern. »My work is my home« nannte das die Soziologin Arlie Hochschild und traf damit offensichtlich das Selbstverständnis vieler Väter.
Interessant ist, dass für Frauen und Männer, die eine Familie gründen wollen, der »richtige Mann« oder die »richtige Frau« nicht entscheidend sind. Nur die
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