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Die Patchwork-Luege

Titel: Die Patchwork-Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Muehl
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kapitalistische Prinzip der Ökonomisierung hat vor der Liebe und der Familie nicht haltgemacht. Unser privates Handeln diktiert jene knallharte Wettbewerbslogik, die Wirtschaft und Politik unermüdlich propagieren. Nur wer sich kontinuierlich dem Optimierungsgedanken unterwirft und sich unerlässlich fragt, ob er den Partner wechseln soll, seinen Stromanbieter, die abonnierte Zeitung und am besten noch den Arbeitsplatz, kommt weiter. Regelmäßige Feedback-Gespräche mit dem Chef darüber,ob man noch optimal zueinanderpasst oder sich lieber trennen sollte, gehören zum Geschäftsalltag. Eine von vielen Karriereregeln lautet: Suche dir spätestens alle fünf Jahre einen neuen Arbeitgeber – falls dein Vertrag nicht sowieso ein Zeitvertrag ist, weil sich auch der Arbeitgeber nicht längerfristig binden will. Durch den beruflichen Unsicherheitszustand scheut man aber auch private Festlegungen: Warum die Raten für ein Haus bezahlen, wenn man vielleicht bald pendeln muss? Zwanzigjährige Betriebszugehörigkeit war einmal ein Anlass zum Feiern, für Arbeitgeber und -nehmer. Diese Zeitspanne spiegelte die gegenseitige Wertschätzung.
    Sogar unsere politische Haltung ist nicht mehr konservativ oder liberal, wir legen uns oft erst am Tag der Wahl fest, wem wir dieses Mal unsere Stimme geben. Permanente Veränderung ist eine der wenigen Konstanten. »Dass wir unser Leben performativ überwachen, ist die logische Konsequenz der Flexibilisierung, mit der wir es übertrieben haben«, sagt Hartmut Rosa. Die Geschwindigkeit, der wir ausgesetzt sind und die wir gleichzeitig suchen, ist schädlich. Wir springen, getrieben von Zweifeln und Unruhe, von einer Sache zur nächsten, von einem Menschen zum nächsten, von einer Versuchsanordnung des Glücks zur nächsten, als unterliege die Biographie einer Dauerevaluierung. Das Internet erzwingt diese kollektive Bewertung. Ärzte, Lehrer, Professoren, Restaurants, Bars, Kosmetikartikel, nichts entgeht der Benotung. Unsere Mobiltelefone und Kameras tauschen wir aus, bevor wir ihre Funktionen durchschaut und ausgeschöpft haben.Zu einer intensiven Beschäftigung mit einem Gerät kommt man auch gar nicht, denn schon hat die Firma das bessere Nachfolgeprodukt auf dem Markt plaziert. Nehmen wir das iPhone: ein Kultgegenstand, den wir lieben sollen, zumindest für zwei Jahre, bis wir, wie vertraglich geregelt, ein neues Gerät kriegen. Die Liebe darf nicht dem Produkt gelten, sondern der Marke. Das Alte soll vergessen werden. Die Idee des Neuen, des kontinuierlichen Austauschs, ist inzwischen komplett in die Strukturen unserer Gesellschaft eingewoben. Der flexible Mensch, sagt Rosa, sei ein Wellenreiter.
    Mag sein, dass wir auch als Wellenreiter hervorragend funktionieren und Kinder selbst unter Bedingungen des permanenten Umziehens extrem leistungsfähig sind und später Karriere machen. Die Frage ist, ob Leistungsfähigkeit das entscheidende Stichwort sein kann. Und wenn ja, was wäre der Verlust?
    Der Verlust wäre die Fähigkeit der Resonanz, das Sich-auf-etwas-einlassen-können und Verharren. Aber ohne das sind tiefe Empfindungen in der Natur, zum Beispiel auf einem Gipfel oder am Meer, vielleicht auch in der Religion, unmöglich. In Liebesbeziehungen entsteht vieles gar nicht erst, weil sie schon zu Ende sind, bevor sie nach zwanzig, dreißig oder sogar vierzig Jahren eine neue Qualität erreichen. Das Zerlegen der eigenen Geschichte ins Episodenhafte kappt das Band der Entwicklung.
    Alles, was die Gesellschaft zu vergeben hat, wird im Berufsleben vergeben: Geld, soziale Sicherung, Status, Anerkennung. Die Erfolgskriterien richten sich immer mehrnach Äußerlichkeiten. Wer auf seine Erwerbskarriere zugunsten seiner Beziehung verzichtet, schneidet sich vom Allokationsspiel ab und hängt sich ganz an seinen Partner, in einer Zeit, in der er weiß, wie riskant das ist.
    Der Druck, erwerbstätig zu sein, ist deshalb hoch. Wer aber ein guter Vollzeit-Erwerbstätiger ist, kann nicht gleichzeitig eine gute Vollzeit-Mutter und Hausfrau sein. »Er gerät in einen strukturellen Squeeze«, sagt Rosa. Er wird ausgepresst wie eine Orange. Auch die Väter sind in einem Dilemma: Sie wollen beruflich nicht als Versager gelten und haben ständig Angst, dass andere erfolgreicher werden und an ihnen vorbeiziehen, während sie selbst mit ihrem Kind Ball spielen. Auf der anderen Seite wollen sie auch nicht zu Hause versagen und gar nicht mit ihrem Kind Ball spielen. Der Konflikt ist unauflösbar.
    Gegen die

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