Die Patchwork-Luege
Scheidung, nicht bei einer Versöhnung absetzen. Freunde und Bekannte muntern die Getrennten auf und sind stolz darauf, verständnisvoll zu sein. Vielleicht benötigen sie selbst einmal Nachsicht und Zuspruch, wenn ihre Beziehung in die Brüche geht. Scheidungseltern und -kinder sind in bester Gesellschaft. Geteiltes Leid ist halbes Leid, verspricht eine Redewendung. Wir halten uns an Peter Gross’ Worte, der in seinem Buch Multioptionsgesellschaft schreibt: »In Konsekutivehen, wo die Monogamie seriell betrieben wird, werden die Kinder wie Wanderpokale von einem familialen Milieu ins andere mitgenommen oder mitgezwungen.«
Eine Anwältin für Scheidungs- und Familienrecht. Sie lebt in einer westdeutschen Kleinstadt, ist verheiratet und hat zwei Kinder, beide Teenager. Die Liebe der Paare, die vor ihr sitzen, ist erloschen. Jetzt wollen sie auch auf dem Papier kein Paar mehr sein, die Ehe juristisch beenden. Die Anwältin hat während ihrer zwanzigjährigen Laufbahn mit vielen gescheiterten Paaren gesprochen. »Ich habe den Eindruck, dass die Bereitschaft, für die Liebe und die Familie zu kämpfen, in den vergangenen zehn Jahren stark nachgelassen hat. Wir erliegen schneller der Verführung«, sagt sie. Es sei zwar nicht so, dass sich die Paare die Trennung leicht machten, viele machten sie sich aber auch nicht schwerer als nötig. »Scheidungen sind Normalität geworden. Das beobachte ich im Beruf, aber auch im Freundes- und Bekanntenkreis. Ich habe auchdort das Gefühl, dass ständig Beziehungen auseinanderbrechen.«
Die Funktion der Ehe hat sich grundlegend verändert. Das Fundament der bürgerlichen Ehe beruhte auf einem Tauschverhältnis, dessen Einhaltung für alle Beteiligten und sogar Nichtbeteiligten überprüfbar war. Jeder wusste, was er leisten musste und was er erwarten durfte.
Besonders auf dem Land galt: je mehr Kinder, desto besser. Sie waren wichtige Arbeitskräfte und eine Garantie für die Versorgung im Alter. Die Nachkommenschaft sicherte die Existenz eines Hofes, das Vermögen, sofern es eines gab, konnte vererbt werden, das Geschlecht und der Name starben erst einmal nicht aus. Kinderlosigkeit war eine Schande, die Betroffenen geächtet. Im Märchen sind nur Zwerge kinderlos, und hinter Impotenz verbirgt sich ein Fluch.
Eine Scheidung war kein individuell getroffener Entschluss, sie war eine gesellschaftlich notwendige Folge eines Fehlverhaltens oder Fehltritts des Partners, womit wir wieder bei Effi Briest wären. Nachdem ihr Gatte Baron Geert von Innstetten den Betrug seiner Frau einem Freund anvertraut hatte, musste er handeln, denn die Wahrheit war damit in der Öffentlichkeit und das Duell mit dem Kontrahenten unausweichlich. »Ich ging zu ihnen und schrieb ihnen einen Zettel, und damit war das Spiel aus meiner Hand. Von dem Augenblicke hatte mein Unglück (…) einen halben Mitwisser, und nach den ersten Worten, die wir gewechselt, hatte es einen ganzen.«
Die Zeiten des Zwangs und der Nüchternheit in Eheangelegenheitensind glücklicherweise vorbei, die Gründe, aus denen heute mehr als jede dritte Ehe geschieden wird, sind andere. Rosemarie Nave-Herz, Marita Daum-Jaballah, Sylvia Hauser, Heike Matthias und Gitta Scheller haben in einem Buch Scheidungsursachen im Wandel untersucht. Die gute Nachricht lautet, dass die Ehe nicht an Bedeutung verloren hat, sie ist, marktwirtschaftlich gesprochen, kein »Auslauf-Modell«, wir schreiben ihr auch keine »Sinn«-losigkeit zu.
Was verloren gegangen ist, ist ihr institutioneller Charakter. Das ist die schlechte Nachricht. Da es dem Einzelnen gleichgültig ist, dass die Familie das tragende Element, die Keimzelle einer Gesellschaft darstellt, hat eine drastische Verschiebung von Pflicht- und Akzeptanz- zu Selbstentfaltungswerten stattgefunden. In Interviews, die die Autorinnen mit Geschiedenen führten, fielen Sätze wie diese:
Mann: »Ich kann mich nicht anpassen, will ich auch gar nicht.«
Frau: »Ich hab gesagt, ich will ans Meer. Und fertig, Punkt. Und ich bin dann eben auch auf dem Standpunkt geblieben.«
Im Mittelpunkt stehen die eigenen Gefühle, die wir permanent beobachten und analysieren, als seien sie ein Forschungsobjekt unter dem Mikroskop. Tut mir der andere gut? Bin ich glücklich? Eine gute Ehe muss unsere emotionalen Bedürfnisse uneingeschränkt befriedigen, das verlangen wir von ihr. Die Liebe soll groß und die Intimität aufregend sein – nicht nur in den ersten Monaten. Kompromissengegenüber sind wir skeptisch und
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