Die Patchwork-Luege
Kösel-Verlag wirbt auf seiner Homepage mit einem kurzen Film für ein neues Buch. Man sieht eine Wiese, einen VW-Bus, einen Schriftzug in roten Lettern: Stiefeltern. Eine Frau eilt herbei und kickt das Wort fort. Im nächsten Moment tauchen gutgelaunte Kinder in Begleitung freundlicher Erwachsener auf, und es erscheint das Wort: Bonus-Eltern .
Bonus, dabei denkt man erst mal an die Wirtschaft – und seit der Finanzkrise an gierige Banker und gierige Aktionäre. Ein Bonus ist eine feine Sache. Mitarbeiter, die sich verdient gemacht haben, erhalten am Jahresende einen Bonus, eine Belohnung für ihre Leistung zum Beispiel in Form eines Aktienpakets. Lufthansa-Vielflieger können für ihre Bonusmeilen Füllfederhalter, Hermes-Tüchlein oder Piloten-Koffer kaufen. Die Bahn wirbt mit ihrem Bonus-Programm. In den Familienkontext übertragen, wie der Autor Jesper Juul es tut, sind Stiefeltern ein Geschenk.
Euphemismen haben eine doppelte Funktion: Sie sollen einerseits einen hässlichen Sachverhalt beschönigen und damit die Öffentlichkeit besänftigen, andererseits täuscht sich jeder, der sich in Euphemismen flüchtet, unbewusst selbst. Er errichtet, so Armin Burkhardt, einen »psychologischen Schutzwall«.
Der Satz »die achtziger Jahre sind vorbei, die Zeiten haben sich geändert« ist ein Baustein, der diesen Wall stabilisiert. Damals haben sich die geschiedenen Väter aus dem Staub gemacht, heimlich geheiratet, Kinder gezeugt und am anderen Ende Deutschlands eine neue Existenz aufgebaut. Das war die Generation der Weihnachts- und Geburtstagsväter, die zähneknirschend Unterhalt zahlten, nicht zum Abschlussball ihrer Kinder anreisten und keine Ahnung hatten, ob die in die siebte oder achte Klasse gehen. Die Väter sahen ihre Kinder so selten, dass es ihnen zu mühsam erschien, sich die Namen von deren Freunden und Freundinnen zu merken. Und mit der Zeit verdrängten einige Väter sogar erfolgreich, dass es überhaupt Kinder aus erster Ehe gab. Irgendwann füllten sie nicht einmal mehr die Geburtstagsvaterrolle aus, weil sie die Geburtstage vergaßen oder mit dem eines Freundes verwechselten.
Damals mussten Scheidungskinder in der Schule nach anderen Scheidungskindern suchen. Meistens fanden sie keine. Wegen ihrer Familienverhältnisse galten sie als Sonderlinge, mit denen etwas nicht stimmte und die irgendwie gestört waren. Intakte Familien beäugten den Umgang ihrer Kinder mit Kindern aus zerrütteten Familien kritisch und fürchteten einen schlechten Einfluss. Freunde nahmen die zerstrittenen Eltern scharf ins Gebet, versuchten zu vermitteln, ihnen klarzumachen, dass eine Scheidung Dramen mit sich bringt, was den Betroffenen vollkommen klar war. Die Nachbarn tuschelten. Alleinerziehende Mütter zogen mitleidige Blicke auf sich, ihr Ansehenwar beschädigt. Man unterstellte ihnen, dass sie in der Ehe etwas falsch gemacht hatten, sonst hätte der Mann sie wohl nicht verlassen. Dass es auch umgekehrt sein konnte, zog man selten in Betracht. »Eine Scheidung wurde als pathologisch, als persönliches Scheitern der Ehegatten und als Katastrophe für die betroffenen Kinder gesehen«, schreibt Martin R. Textor. Psychologen ängstigten die Eltern mit Desasterprognosen. Das Kind, ein »Scheidungswaise«, werde enorme Schwierigkeiten haben im Leben, beruflich, privat, immerzu drohe der Absturz, in die Sucht oder Depression. Häufig fragten die Psychologen das Kind bereits in der dritten Sitzung: »Denkst du an Selbstmord?«
Anfang der neunziger Jahre druckte der Spiegel eine Titelgeschichte zum Thema Scheidung mit der Überschrift: »Illusion vom Lebens-Lego«. Im Vorspann hieß es: »Hass und Rachsucht ohne Maß; der Bruch in den Biographien wirkt viele Jahre nach; verletzt fürs Leben bleiben die Kinder auf dem Schlachtfeld zurück (…).« Solche Sätze sind mittlerweile undenkbar.
Heute ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Scheidungskinder nebeneinandersitzen. Auch die Fragen lauten anders: »Mama, Papa, wann lasst ihr euch eigentlich scheiden?« Oder auf dem Schulhof: »Sind deine Eltern noch verheiratet?« Aus verliebt, verlobt, verheiratet ist der Seilspring-Reim »verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden, wie viele Kinder wirst du kriegen?« geworden.
Eine Scheidung ist eine Selbstverständlichkeit und kein Schicksalsschlag mehr. Sie ist steuerlich absetzbar, als außergewöhnlicheBelastung. Die Kosten eines Mediationsverfahrens, dessen Zweck ja das Zueinanderfinden ist, lassen sich nur im Falle einer
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